Table of Contents Table of Contents
Previous Page  51 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 51 / 80 Next Page
Page Background

51

Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph K. Neumann

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Sie äußern in Interviews sehr deutliche Kritik an der tür-

kischen Regierung. Haben Sie als deutscher Turkologe, der

das Land berufsbedingt häufig bereist, mit Konsequenzen

zu rechnen?

Ich weiß, dass ich in einer privilegierten Position bin und

ich sähe es als falsch an, wenn ich den Freiraum, den mir

diese Position bietet, nicht ausnützte. Ich war schon immer

privilegiert: Ich habe einen deutschen Pass, ein gewisses

kulturelles und soziales Kapital. Ich habe eine begrenzte

Sorge, dass mal irgendwelche negativen Folgen einsetzen,

zum Beispiel, dass ich mal nicht einreisen darf. Ich glaube

nicht, dass das passiert, aber es könnte vorkommen. Bis-

lang ist überhaupt nichts passiert. Letztes Jahr wurde ich

sogar noch zum Nationalfeiertag eingeladen.

Als wissenschaftlich arbeitender Mensch muss man

versuchen, sich eine gewisse Form von Souveränität

gegenüber seinem Gegenstand zu bewahren. Und wenn

das nicht mehr geht, muss man vielleicht sein Thema

wechseln. Solange ich das Thema nicht wechseln will,

kann ich nur versuchen, mich in meiner Souveränität

auszuleben. Schon 1985 stand in einem Reiseführer, den

ich schrieb, etwas über die Vernichtung der Armenier und

über die Kurden, deren Existenz damals im Land weitge-

hend ignoriert und geleugnet wurde. Es war nicht mein

Hauptanliegen, als ich den Reiseführer schrieb, jeman-

den politisch zu erziehen. Es ging um schöne Ruinen in

Ephesos und die

Hagia Sophia

und wie ein

meze

-Tisch

14

funktioniert, aber diese anderen Dinge kamen eben auch

vor. Es ist nichts passiert. Vielleicht hatte ich Glück. Ich

versuche, mit offenen Karten zu spielen. Es ist die einzige

Art und Weise, wie ich das tun kann.

14

Meze

ist die türkische Bezeichnung für eine Vorspeise.

Algerische Touristinnen nehmen ein Selfie vor einem verlassenen Panzer, Taksim-Platz in Istanbul, 17. Juli 2016.

Foto: ullsteinbild - Reuters/Murad Sezer