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Mittler zwischen Ost und West?

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Rückversicherung der östlichen NATO-Bündnispartner

umfasste.

Als Mittler zwischen Russland und dem Westen fun-

gierte Deutschland, wenn darunter das Aufrechterhalten

des Dialogs zu Moskau verstanden wird. Verständnis oder

gar eine Duldung russischer Machtpolitik konnte es nicht

geben, da gewaltsame Grenzverschiebungen und die Bean-

spruchung hegemonialer Vorrechte unvereinbar sind mit

der europäischen Ordnung, die die Charta von Paris 1990

grundgelegt hatte. Es war Kanzlerin Merkels Verdienst, in

der EU einen Konsens zu sichern, der seit 2014 selbst in

der Sanktionsfrage hält und die europäische Handlungs-

fähigkeit garantiert. Im Normandie-Format (Frankreich,

Deutschland, Ukraine, Russland) und in den Verhandlun-

gen von Minsk bemühte sich Deutschland um die diplo-

matische Lösung des Konflikts, um Russland einen Ausweg

aus der Selbstisolation zu bieten, ohne in Appeasement zu

verfallen. Bislang war es nicht von Erfolg gekrönt.

Die deutsche Außenpolitik steht damit vor einer gro-

ßen Herausforderung. Dass Russland bedeutsam ist für

die europäische Sicherheit, steht außer Frage. Auch in

anderen Regionen (z.B. Syrien) und bei globalen Fragen

braucht der Westen Russland. Doch eine Interessenkon-

gruenz gibt es derzeit nicht. Es würde daher weder der

europäischen noch der internationalen Sicherheit dienen,

Russlands hegemoniale Ansprüche zu akzeptieren. Wie

ein Modus Vivendi mit dem neuen Russland aussehen

könnte, das derzeit kein Partner ist, ist unklar.

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Erschwert

wird die Formulierung eines neuen Ansatzes dadurch, dass

sich die EU angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise,

der Eurokrise, der Flüchtlingskrise, der Erfolge von euro-

pakritischen Populisten und der Brexit-Entscheidung in

einer Dauerkrise befindet. Auch das transatlantische Ver-

hältnis durchlebt einen tiefgreifenden Wandel. Deutsch-

land ist nun als „Vormacht wider Willen“ stärker als je

zuvor gefordert, die westliche Ordnung in Europa zu ver-

teidigen, ohne diese in der EU durch deutsche Dominanz

zu gefährden.

32

Fazit: Vermittlung nach Osten aus der Verankerung

imWesten

Die Bundesrepublik bemühte sich nach der Wiederver-

einigung um die Schaffung eines „gemeinsamen Hauses

Europa“. Sie folgte mit ihren Partnern drei Leitlinien,

31 Vgl. Hannes Adomeit: A Tidal Change in Ostpolitik, in: New Eastern Europe

(2015), H. 2, S. 52–60.

32 Vgl. Bierling (wie Anm. 6).

die sich schlüssig aus dem politischen Kontext ergaben.

Erstens: Die Vertiefung der europäischen Integration und

der Erhalt der Partnerschaft mit den USA waren essenziell

für die europäische Stabilität. Zweitens: Die Zukunft des

Ostens lag in der westlichen Gemeinschaft. Drittens: Eine

Friedensordnung musste auf den in der Charta von Paris

festgeschriebenen Werten gründen und die mittelosteuro-

päischen Staaten und Russland gleichermaßen adressieren.

Die Bundesrepublik verstand sich nach der politischen

Zeitenwende in Europa durchaus als Vermittler zwi-

schen Ost und West, nicht aber als unabhängige „Brü-

cke“. Sie versuchte Russland an den Westen zu binden.

Damit stand sie nicht allein, bemühten sich doch EU und

NATO gleichermaßen, behutsam den Weg zu bereiten für

ein geeintes und freies Europa. Doch Russland beschritt

diesen Weg nicht. Stattdessen kehrte es zurück zu autori-

tären Strukturen im Inneren und Großmachtpolitik nach

außen. Es gehört noch immer zur Prämisse deutscher Poli-

tik, dass ein stabiler Friede in Europa nur mit, nicht ohne

oder gegen Russland erreicht werden kann. Ein Ausgleich

mit Putins Russland um jeden Preis würde aber gerade

nicht dazu beitragen, diesen zu schaffen.