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Mittler zwischen Ost und West?

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

So abgesichert lud die Allianz im Juli 1997 Polen, Tsche-

chien und Ungarn zu Beitrittsgesprächen ein, die 1999 in

der Aufnahme mündeten. Die Bundesrepublik vermittelte

in der NATO eine weitere Kompromissformel. Das Bünd-

nis würde sich, wie von den USA befürwortet, in der ers-

ten Erweiterungsrunde auf drei Kandidaten beschränken,

sich aber offen für alle europäischen Demokratien zeigen.

Explizit genannt wurden Rumänien und Slowenien, deren

Einbeziehung Frankreich schon 1997 gefordert hatte,

sowie die baltischen Staaten.

14

Damit war ein Arrange-

ment gefunden worden, das alle Beteiligten befriedigte.

15

Parallel dazu veränderte sich aufgrund externer

Zwänge das Aufgabenspektrum der Allianz. Neben der

kollektiven Verteidigung rückten friedensschaffende und

-sichernde Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets ins

Blickfeld. Der blutige Zerfall Jugoslawiens entwickelte

sich mit dem Bosnienkrieg und dem Kosovokonflikt

zum Katalysator. Russland sah besonders beim nicht-

UN-mandatierten Krieg gegen Serbien 1999 seine Macht

bedroht, weil es das serbische Vorgehen im Kosovo als

innere Angelegenheit betrachtete und die Intervention

trotz seines Vetorechts im UN-Sicherheitsrat nicht ver-

hindern konnte. Deutschland stand – ungeachtet heftiger

innenpolitischer Debatten – fest an der Seite seiner west-

lichen Partner. Unkontrolliert eskalierende und grausam

geführte Konflikte wie die in Bosnien und im Kosovo, wo

nationalistische Auswüchse zu ethnischen Säuberungen

führten, gefährdeten schließlich jenen positiven Frieden,

den man zu gestalten hoffte.

Den Ausgleich zu Moskau suchte die Bundesrepublik

durchgängig: In den 1990er Jahren war es Helmut Kohls

hervorragendes Verhältnis zum russischen Präsidenten

Boris Jelzin, das trotz russisch-westlicher Differenzen einen

intensiven Dialog sicherte. 1999 half eine Initiative des

deutschen Außenministers Joschka Fischer, Russland an

der Seite der NATO bei der Stabilisierung des Kosovo ein-

zubinden.

16

Deutschland agierte wiederholt als Vermittler

und suchte Anknüpfungspunkte für Russland. Dass es die

im westlichen Verbund formulierte Ordnungskonzeption

teilte, weil sie eine gesamteuropäische Friedensordnung

auf der Basis der Charta von Paris versprach, stand indes

nicht in Zweifel.

14 Vgl. Bierling (wie Anm. 6), S. 40.

15 Generell zur NATO-Osterweiterung und der deutschen Rolle vgl. Marco

Overhaus: Die deutsche NATO-Politik. Vom Ende des Kalten Kriegs bis zum

Kampf gegen den Terrorismus, Baden-Baden 2009, S. 84–164.

16 Vgl. Bierling (wie Anm. 6), S. 128 f.

Neue deutsche „Mittellage“ statt Vermittlung?

Während sichDeutschland in den 1990er Jahren bemühte,

als berechenbarer Partner aufzutreten, bewährte Strategien

der Integration und Institutionalisierung voranzutreiben

und diese für Gesamteuropa zu adaptieren, veränderte

sich unter Kanzler Gerhard Schröder der Ton. Schröder

verstand das als eine „Normalisierung“ der deutschen

Außenpolitik. Zwar bekräftigte er in seiner ersten Regie-

rungserklärung vom November 1998: „Wir bekennen uns

uneingeschränkt zu unserer Verankerung im westlichen

Bündnis und in der Europäischen Union.“ Gleichzeitig

beschrieb er das „Selbstverständnis einer erwachsenen

Nation, die sich niemandem über-, aber auch nieman-

dem unterlegen fühlen muß, die sich der Geschichte und

ihrer Verantwortung stellt, aber bei aller Bereitschaft, sich

damit auseinanderzusetzen, doch nach vorne blickt.“ 

17

In der Europapolitik wollte Schröder stärker nationale

Interessen formulieren und forderte etwa eine Reduzie-

rung der deutschen Nettozahlungen. Das Verhältnis zu

den USA verschlechterte sich nach den Terroranschlä-

gen vom 11. September 2001 im Verlauf des „Kriegs

gegen den Terror“ und der Irakkriegsdebatte 2002/2003

zusehends. Schröder stellte sich mit Frankreich und

Russland offen gegen den traditionellen Verbündeten

USA. Dabei war weniger befremdlich, dass die Bundes-

republik den Irakkrieg ablehnte, als vielmehr die Art,

wie sie mit einer „Achsenbildung“ gegen Washington

opponierte. Die Spaltung der EU beförderte die Hal-

tung obendrein. Selbst die NATO erfuhr eine gewisse

Relativierung, da der Ausbau verteidigungspolitischer

Strukturen in der EU mit dem Vertrag von Nizza 2001

als potenzielle Alternative zur euro-atlantischen Koope-

ration erschien.

18

Das Verhältnis zu Russland, insbesondere zu Präsi-

dent Wladimir Putin, entwickelte dagegen während der

Kanzlerschaft Schröders sehr persönliche Züge, was auch

politisch zu einer Annäherung führte. Bei den deutsch-

russischen Regierungskonsultationen 2000 wurde eine

bilaterale „strategische Partnerschaft“ beschlossen. Als

erster russischer Präsident hielt Putin 2001 eine Rede im

Deutschen Bundestag, in der er die besonderen Beziehun-

gen beider Länder und das daraus erwachsende Potenzial

zur Gestaltung der europäischen Ordnung jenseits beste-

17 Gerhard Schröder: Regierungserklärung vom 10.11.1998, <dip21.bundestag.

de/dip21/btp/14/14003.pdf> [Stand: 05.09.2016].

18 Vgl. Hanns W. Maull: „Normalisierung“ oder Auszehrung? Deutsche Außen-

politik im Wandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B11 (2004), S. 17–23.