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Die Bayerische Verfassung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Allein die Mehrheit der abgegebenen Stimmen sollte

entscheiden. Der Gemeinderat sollte keine Möglichkeit

haben, einen einmal gefassten Bürgerentscheid innerhalb

der nächsten drei Jahre abzuändern.

Die Popularklage gab Anlass, den Inhalt des Selbst-

verwaltungsrechts der Gemeinden näher zu bestimmen.

Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Bayerischen Verfassung gibt

den Gemeinden das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten

im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwal-

ten. Wie weit das Selbstverwaltungsrecht im Einzelfall

reicht, ist der Verfassungsnorm nicht zu entnehmen. Dem

Gesetzgeber steht zwar das Recht zu, Inhalt und Umfang

des Selbstverwaltungsrechts einfachgesetzlich zu konkreti-

sieren. Er muss dabei aber Wesen und Kern der Selbstver-

waltung unangetastet lassen.

Der Verfassungsgerichtshof hat im konkreten Fall ent-

schieden, dass das Kommunalrecht nicht so ausgestaltet

werden darf, dass die ernste Gefahr einer Lähmung der

gemeindlichen Tätigkeit besteht. Das von der Bayerischen

Verfassung gewährleistete kommunale Selbstverwaltungs-

recht gehe davon aus, dass die Gemeinden durch demokra-

tisch gewählte Repräsentanten kontinuierlich verwaltet wer-

den, die nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden und ihre

Entscheidungen politisch vor demWähler zu verantworten

haben. Hiermit sei ein Bürgerentscheid ohne Beteiligungs-

oder Zustimmungsquorum, der es möglich mache, dass

sehr kleine Minderheiten über die Geschicke der Gemeinde

bestimmen, nicht vereinbar – jedenfalls dann nicht, wenn

der einmal gefasste Bürgerentscheid für die lange Zeit von

drei Jahren bindend sei. Die entsprechenden Vorschriften

des Gesetzes zur Einführung des kommunalen Bürgerent-

scheids wurden deshalb für nichtig erklärt.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof muss bei sei-

nen Entscheidungen darauf achten, dass der den anderen

Verfassungsorganen garantierte Raum freier politischer

Gestaltung unberührt bleibt. Das gilt in besonderer Weise

bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen.

Der Verfassungsgerichtshof ist keine politische Institu-

tion. Das ist wichtig! Seine Entscheidungen sind gerichtli-

che Rechtserkenntnisse, nicht politische Willensakte. Der

Verfassungsgerichtshof lässt sich bei seinen Entscheidun-

gen nur vom Recht, nicht aber von politischen Erwägun-

gen leiten. Aber natürlich können die Entscheidungen

erhebliche politische Wirkungen haben.

Der Verfassungsgerichtshof ist kein Ersatzgesetzgeber.

Er überprüft nicht, ob ein Gesetz zweckmäßig ist, son-

dern nur, ob die jeweilige Norm mit den Bestimmungen

der Bayerischen Verfassung in Einklang steht. Der Verfas-

sungsgerichtshof hat wiederholt betont, dass es nicht seine

Aufgabe sei, zu überprüfen, ob der Gesetzgeber jeweils die

beste Lösung gewählt hat. Es muss vielmehr dem Ermes-

sen des Gesetzgebers überlassen bleiben, in welcher Weise

er dem allgemeinen Gedanken der Angemessenheit, Bil-

ligkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung tragen will. Nur

wenn die äußersten Grenzen dieses Ermessens überschrit-

ten sind, wenn für die getroffene Regelung jeder sachlich

einleuchtende Grund fehlt, ist ein Verfassungsverstoß

feststellbar. Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm

festgestellt, bleibt es daher auch grundsätzlich der Gestal-

tungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen, wie er die Ver-

fassungsmäßigkeit herbeiführen will.

Dieser Aspekt lässt sich gut anhand der Rechtspre-

chung des Verfassungsgerichtshofs zu den verschiedenen

Versionen des Gesundheitsschutzgesetzes illustrieren, das

den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, vor

allem auch in Gaststätten, zum Ziel hat.

Zunächst bestimmte das Gesundheitsschutzgesetz

vom 20. Dezember 2007 ein ausnahmsloses Rauchverbot

in Gaststätten, „soweit sie öffentlich zugänglich sind“.

Diese Einschränkung führte zur Gründung zahlreicher so

genannter „Raucherclubs“, die zwar nur ihren Mitgliedern

Einlass gewährten, über das Angebot einer Tagesmitglied-

schaft zumeist aber praktisch doch jedem Interessenten

sofort offenstanden. Im Jahr 2009 wurde das Gesundheits-

schutzgesetz geändert. Einerseits wurde es auf alle Gaststät-

ten im Sinn des Gaststättengesetzes ausgedehnt, um den

„Raucherclubs“ die Grundlage zu entziehen. Andererseits

wurden Ausnahmen vom Rauchverbot in Bier-, Wein- und

Festzelten sowie im Nebenraum einer Gaststätte und in

getränkegeprägten Kleingaststätten zugelassen.

Beide Konzepte wurden demVerfassungsgerichtshof im

Wege der Popularklage zur Prüfung vorgelegt und von ihm

nicht beanstandet. Zwar hat er die Popularklage hinsicht-

lich der ursprünglichen Gesetzesfassung für unzulässig

gehalten, weil diese zum Zeitpunkt seiner Entscheidung

am 25. Juni 2010 bereits außer Kraft getreten war. Er hat

aber darauf hingewiesen, dass die ursprünglichen Bestim-

mungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-

sungsgerichts nicht gegen Grundrechte des Grundgesetzes

verstießen und nicht ersichtlich sei, dass die Rechtslage für

die insoweit inhaltsgleichen Grundrechte der Bayerischen

Verfassung anders zu beurteilen wäre. Hinsichtlich der

neuen Regelung hat der Verfassungsgerichtshof ebenfalls

eine Verletzung von Grundrechten verneint und betont,

es liege im Verantwortungsbereich des Gesetzgebers zu

entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf wel-

che Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die

nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können.