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Die Bayerische Verfassung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

In seiner Entscheidung aus dem Jahr 1999 stellte der Ver-

fassungsgerichtshof fest, dass die Abschaffung des Bayeri-

schen Senats nicht den demokratischen Grundgedanken

der Verfassung widerspricht und dass die Bayerische Ver-

fassung auch im Weg der Volksgesetzgebung nach Art. 74

der Verfassung geändert werden kann. Allerdings sei dabei

wegen des erhöhten Bestandsschutzes, den die Verfassung

genieße, ein Quorum erforderlich; das heißt, eine Verfas-

sungsänderung im Weg des Volksbegehrens setzt voraus,

dass mindestens 25 Prozent der stimmberechtigten Bür-

ger zugestimmt haben. Da die Verfassung eine solche Vor-

aussetzung nicht ausdrücklich vorsieht, ist sie lückenhaft.

Der Verfassungsgerichtshof hat insoweit eine planwidrige

Unvollständigkeit des Verfassungstextes angenommen, die

im Wege der Auslegung geschlossen werden musste.

Der Gesetzgeber hat diese planwidrige Lücke zwischen-

zeitlich durch eine Änderung des Landeswahlgesetzes aus-

gefüllt. In Art. 80 Abs. 1 LWG ist jetzt bestimmt, dass

die Ja-Stimmen bei einem Volksentscheid, der eine Ver-

fassungsänderung beinhaltet, mindestens 25 Prozent der

Stimmberechtigten entsprechen müssen. Dem Bayeri-

schen Senat hat dies im Ergebnis nichts genützt, da mehr

als 27 Prozent der Stimmberechtigten für seine Abschaf-

fung gestimmt hatten.

Bundesrecht unterliegt nicht der Überprüfung durch den

Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Die Kompetenzord-

nung des Grundgesetzes teilt die Gesetzgebungsbefugnisse

zwischen dem Bund und den Ländern auf. Danach sind

die Länder zuständig, soweit nicht das Grundgesetz die

Regelung bestimmter Bereiche dem Bund zuweist. Ein gro-

ßer Teil der Gesetzgebungsmaterien wird jedoch auf dieser

Grundlage durch Bundesrecht geregelt, wobei die Länder

über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit-

wirken. Ein Ziel der 2006 in Kraft getretenen Föderalismus-

reform war es, die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes

und der Länder zu entflechten. Verkürzt gesagt bedeutet

dies, die Einwirkungsmöglichkeiten der Länder auf die

Gesetzgebung des Bundes – vor allem die „Vetorechte“ –

wurden eingeschränkt. Im Gegenzug hat der Bund einige

wichtige Gesetzgebungszuständigkeiten auf die Länder

zurückübertragen. Sie werden somit wieder dem unmittel-

baren Wirkungsbereich der Landesverfassungen zugeord-

net. Dies hat für den Verfassungsgerichtshof unmittelbare

Folgen: Die Zahl der mit der Popularklage angreifbaren

Landesgesetze ist gestiegen. Wichtige Materien – wie etwa

der Strafvollzug und weite Teile des Beamtenrechts – wer-

den inzwischen auf der Grundlage der Föderalismusreform

durch Landesgesetze geregelt, die mehrfach auch bereits

mit Popularklagen zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof

angegriffen wurden. Insoweit kann von einem Bedeutungs-

gewinn der Bayerischen Verfassung gesprochen werden.

2. Verfassungsbeschwerden

Eine weitere wichtige Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs

ist die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden. Verfas-

sungsbeschwerde können Bürgerinnen und Bürger beim

Bayerischen Verfassungsgerichtshof erheben, wenn sie

geltend machen wollen, eine bayerische Behörde oder ein

bayerisches Gericht habe sie in ihren verfassungsmäßigen

Rechten aus der Bayerischen Verfassung verletzt. Die Ver-

fassungsbeschwerde richtet sich also gegen Einzelfallent-

scheidungen von Behörden und Gerichten – nicht gegen

Gesetze. In der Alltagspraxis des Verfassungsgerichtshofs

spielen Verfassungsbeschwerden jedenfalls zahlenmäßig die

größte Rolle. Seit Bestehen des Verfassungsgerichtshofs

(1. Juli 1947) sind über 7.700 Verfassungsbeschwerden

eingegangen. Sie machen rund 80 Prozent der durch-

schnittlich etwa 140 Verfahren im Jahr aus.

Die meisten Verfassungsbeschwerden richten sich gegen

Urteile der Zivilgerichte. Es handelt sich dabei meist um

Entscheidungen, die in einem bundesrechtlich geregelten

Verfahren nach der Zivilprozessordnung ergangen sind

und in aller Regel auf Bundesrecht – etwa dem Bürgerli-

Sitzung des Bayerischen Senats im Bayerischen Landtags

Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag, Fotograf: Rolf Poss