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Die Bayerische Verfassung in der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
Hierzu zwei Beispiele:
In der Zeit der Entstehung der Bayerischen Verfassung
und des Grundgesetzes konnten die Möglichkeiten und
die Gefahren der automatischen Datenverarbeitung noch
nicht vorhergesehen werden. Die Väter und Mütter der
Bayerischen Verfassung und des Grundgesetzes hatten
vermutlich keine Vorstellung davon, welche immense
Bedeutung die moderne Informationstechnologie für
die Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts erlangen
würde. Daher überrascht es nicht, dass weder in der Bay-
erischen Verfassung noch im Grundgesetz ausdrückliche
Regelungen zum Schutz des Bürgers gegen einen Miss-
brauch seiner persönlichen Daten durch staatliche Stellen
getroffen wurden.
Schon zu Beginn der 1980er Jahre erlangte die Frage
des Datenschutzes dann allerdings beachtliche Bedeutung
in der gesellschaftspolitischen Diskussion. Das Volks-
zählungsgesetz 1983 war schließlich der Auslöser für die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum „Recht auf
informationelle Selbstbestimmung“. Aus den Grund-
rechtsgewährleistungen der freien Entfaltung der Persön-
lichkeit und der Menschenwürde wurde ein Recht des
Bürgers auf Schutz gegen einen Missbrauch seiner persön-
lichen Daten durch staatliche Stellen entwickelt.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat
seitdem in der Verfassungsrechtsprechung eine nicht
unerhebliche Rolle gespielt. Auch der Bayerische Ver-
fassungsgerichtshof wendet die hierzu vom Bundesver-
fassungsgericht entwickelten Grundsätze an. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
stellt die informationelle Selbstbestimmung allerdings
kein besonderes Grundrecht neben anderen dar, sondern
erweist sich als Ausprägung der Menschenwürde und der
allgemeinen Handlungsfreiheit. Zuletzt gaben die bereits
erwähnten Entscheidungen zur Einsetzung eines Unter-
suchungsausschusses sowie zur Beantwortung parlamen-
tarischer Anfragen durch die Staatsregierung dem Verfas-
sungsgerichtshof Anlass, sich näher mit dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung auseinanderzusetzen.
Die Herausforderungen, denen sich die Verfassung
angesichts der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung
stellen muss, lassen sich sehr deutlich auch am Beispiel der
Humangenetik zeigen. Die Bayerische Verfassung enthält
keine eigene Grundrechtsnorm zum Schutz des Lebens
und der körperlichen Unversehrtheit. Es ist jedoch all-
gemein anerkannt, dass Art. 100 (Menschenwürde) und
Art. 101 (Handlungsfreiheit) der Verfassung Lebensschutz
gewährleisten und eine Pflicht der staatlichen Organe
begründen, sich schützend vor das Leben zu stellen. Der
wissenschaftliche Fortschritt der modernen Medizin stellt
uns heute vor das schwierige Problem zu definieren, wann
das menschliche Leben im Rechtssinn beginnt. Genießt
zum Beispiel die außerhalb des Körpers befruchtete Eizelle
umfassenden verfassungsrechtlichen Lebensschutz – und
noch schwieriger: gilt für sie die Gewährleistung der Men-
schenwürde? Die Verfassung kann hierfür keine fertigen
rechtlichen Lösungen bieten. Sie liefert vielmehr Grund-
werte, die zu beachten sind, wenn es um den Schutz
des Lebens geht. Soweit in einem Bereich verschiedene
Grundwerte der Verfassung miteinander kollidieren –
etwa der Schutz des Lebens, die Freiheit von Wissenschaft
und Forschung und das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit – muss der Staat auf einen möglichst schonen-
den Ausgleich der gegenläufigen Schutzgewährleistungen
bedacht sein.
Kunstaktion „Hello Post Privacy“ in Bamberg
Foto: picture alliance/dpa/Fotograf: David Ebener