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Der sogenannte„Röhm-Putsch“ – eine Zäsur in der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes
Einsichten und Perspektiven 1 | 18
Die Mordwelle im Sommer 1934
Die Niederschlagung des vom NS-Regime so benannten
„Röhm-Putsches“ 1934 war eine innenpolitische Aktion,
die den terroristischen Charakter des „Dritten Reichs“ offen
zutage treten ließ.
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Ihr Hauptstoß richtete sich gegen die
SA-Führung. Die Sturmabteilung (SA) war nach einer Ver-
einbarung zwischen Hitler und Kapitän Hermann Ehrhardt
vom August 1921 zu einer schlagkräftigen Parteitruppe aus-
gebaut worden. Erhardt ließ Angehörige seiner Marinebri-
gade in die nationalsozialistische Parteitruppe eintreten und
stellte Offiziere für die Ausbildung zur Verfügung. Der erste
SA-Führer, Marineleutnant a. D. Hans-Ulrich Klintzsch,
hatte zuvor ebenfalls der Ehrhardt-Brigade angehört. Die
SA besaß von Anfang an einen Doppelcharakter: Sie sollte
als Parteitruppe den Schutz von Versammlungen überneh-
men, zugleich wurde sie nach dem Vorbild der paramilitä-
rischen Wehrverbände organisiert. Über Ernst Röhm, der
über gute Kontakte zu den paramilitärischen Verbänden
verfügte, hatte Hitler die Verbindung zu den Wehrverbän-
den und Freikorps gesucht. Zahlreiche Angehörige dieser
Verbände stellten sich daraufhin der SA zur Verfügung. Auf
diese Weise wurde „eine Organisation rücksichtslosester
Kraft und brutalster Entschlossenheit“ geschaffen.
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In der
von den Nationalsozialisten sogenannten „Kampfzeit“, im
Kampf um die politische Macht während der Weimarer
Republik, lieferte sich die SA zahlreiche Straßenschlachten
mit den politischen Gegnern, vor allem Sozialdemokraten
und Kommunisten.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
1933 begann das neue Regime sofort mit der Umstruktu-
rierung des Staates und der Ausschaltung sämtlicher Geg-
ner. 1934 holte Hitler mit der Inszenierung des sogenann-
ten „Röhm-Putsches“ auch zum wesentlichen Schlag gegen
innerparteiliche Gegner aus. Dabei wurde der SA-Führung
vorgeworfen, einen gegen Hitler gerichteten Putsch geplant
zu haben. Die Exekution zahlreicher SA-Führer wurde mit-
hin als präventive Maßnahme, als notwendige Handlung
zum Schutze des Staates dargestellt. Hitler habe in „Staats-
notwehr“ gehandelt. Zugleich wurden zahlreiche Gegner
des NS-Regimes im Zuge des „Röhm-Putschs“ inhaftiert
oder getötet, wie etwa der ehemalige Reichskanzler Kurt
von Schleicher oder der Publizist Fritz Gerlich.
1 Dazu neu erschienen: Bernhard Sauer: In Heydrichs Auftrag: Kurt Gildisch
und der Mord an Erich Klausener während des Röhm-Putsches, Berlin
2017; vgl. auch Ernst Piper: Nazis gegen Nazis, in: eines tages/spiegel
online v. 29.06.2009, vgl.
http://www.spiegel.de/einestages/75-jahre-roehm-putsch-a-948373.html [Stand: 06.03.2018].
2 Zit. n. Albrecht Tyrell: Führer befiel ... Selbstzeugnisse aus der Kampfzeit
der NSDAP, Bindlach 1991, S. 50.
In einem eigens erlassenen „Gesetz über Maßnahmen
der Staatsnotwehr“ vom 3. Juli 1934 wurden die Exekuti-
onen für „rechtens“ erklärt. Die SA wurde „gleichgeschal-
tet“, sie spielte politisch und militärisch keine Rolle mehr.
Ihr Niedergang war zugleich die Voraussetzung für den
Aufstieg der SS (sogenannte Schutzstaffel unter der Füh-
rung Himmlers). Im Hinblick auf die „großen Verdienste“
der SS im Zusammenhang mit den Ereignissen des 30.
Juni 1934 hob Hitler das Unterstellungsverhältnis unter
die SA auf und machte sie zur selbständigen Organisation
im Rahmen der NSDAP. Der 30. Juni 1934 war der wich-
tigste Schritt auf dem Wege Deutschlands zum „SS-Staat“
(Eugen Kogon).
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Der Schlag gegen die SA wurde detailliert vorbereitet.
Um den 25. Juni 1934 wurden die SS- und SD-Führer in
Alarmbereitschaft versetzt und nach Berlin berufen. Dort
erklärten Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich,
dass eine Revolte der SA unmittelbar bevorstehe. Auch
die Reichswehr wurde über den Putschplan informiert
und veranlasst, für die SS-Einheiten Waffen, Transport-
traum und Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung
zu stellen. Am 27. Juni 1934 erschien der Kommandeur
der SS-„Leibstandarte“, Sepp Dietrich, im Reichswehr-
ministerium und erbat sich vom zuständigen Stabsoffizier
zusätzliche Waffen und Munition für einen geheimen und
sehr wichtigen Auftrag des „Führers“. Mit seinem SS-Son-
derkommando fuhr Dietrich in der Nacht vom 29. zum
30. Juni nach Bayern, wo er Hitler zur Verhaftung der Füh-
rungsspitze der SA nach Bad Wiessee begleiten sollte. An
diesem Tag begab sich Hitler in Begleitung von Hermann
Göring und Viktor Lutze nach Essen, um an der Hochzeit
von Gauleiter Josef Terboven teilzunehmen. Von Essen aus
befahl Hitler Röhm, dafür zu sorgen, dass sich alle SA‑Füh-
rer am späten Vormittag des 30. Juni zu einer Besprechung
mit Hitler in Röhms Urlaubsort Bad Wiessee einfanden.
In Essen wurden auch die Einzelheiten für den Schlag
gegen die SA besprochen. Göring kehrte nach Berlin
zurück, um dort die bevorstehende Aktion zu leiten.
Hitler flog noch in der Nacht zusammen mit Lutze und
Goebbels nach München. Gegen vier Uhr morgens traf er
dort ein. Da sich das SS-Sonderkommando unter Dietrich
verspätet hatte, fuhr Hitler allein in Begleitung von Goe-
bbels und Lutze sowie ausgesuchten SS‑Männern nach
Bad Wiessee. Dort herrschte noch völlige Ruhe. Die zur
Besprechung eingetroffenen SA-Führer hatten am Vor-
3 Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationsla-
ger, Frankfurt am Main 1946.