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Der sogenannte„Röhm-Putsch“ – eine Zäsur in der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes

Einsichten und Perspektiven 1 | 18

der SA eine bewaffnete Miliz zu machen, in der die Reichs-

wehr lediglich eine Ausbildungsorganisation innerhalb des

SA-Volksheeres sein sollte. Am 1. Februar 1934 übersandte

Röhm dem Reichswehrminister Werner von Blomberg eine

Denkschrift, in der er in offizieller Form seine Ansicht über

die zukünftige Rolle der Reichswehr darlegte, die er auf die

Funktion eines reinen Ausbildungsheeres beschränkt sehen

wollte.

9

Die Reichswehrführung war auf das Äußerste alar-

miert und forderte, Hitler müsse sich nun entscheiden.

Am 28. Februar 1934 erklärte Hitler daraufhin vor

den Spitzen von SA und Wehrmacht, eine Miliz im Sinne

Röhms sei für seine Pläne ungeeignet, es komme nur eine

Wehrmacht mit allgemeiner Wehrpflicht in Frage. Für

seine Kriegspläne brauchte Hitler die Unterstützung der

Wirtschaft und der Reichswehr. Zugleich warnte er Röhm

davor, ihm in der gegenwärtigen Situation in den Rücken

zu fallen. Hitlers Ablehnung seiner Pläne war eine bittere

Enttäuschung für Röhm, doch wollte er sich nie wirklich

mit der Entscheidung abfinden. Wiederholt erneuerte er

seine Forderung nach Fortsetzung der nationalsozialisti-

schen Revolution und betone das Primat des Soldaten in

der Politik.

Die Ansichten Röhms zur Wehrverfassung waren aber

nicht der einzige Konfliktpunkt, der zum Dauerstreit mit

dem Koalitionspartner und den Führungskräften in Mili-

tär und Verwaltung führte. SA-Führer hatten sich nach

der „Machtergreifung“ zahlreiche Eigenmächtigkeiten

erlaubt. So wurden neben der staatlichen Gegnerbekämp-

fung unter der Regie von Wolf-Heinrich Graf von Hell-

dorff, Karl Ernst, Edmund Heines und Peter von Hey-

debreck in zahlreichen SA-Einrichtungen und anderen

Stätten eigene Konzentrationslager eingerichtet, in die

wahllos politische Gegner „aus der Kampfzeit“, oft aber

auch nur Bürger, mit denen die SA-Leute „alte Rech-

nungen“ mehr oder minder privater Natur begleichen

wollten, verschleppt wurden. Allein für Berlin wird eine

Zahl von etwa 170 solcher Folterstätten der SA angenom-

men.

10

Schätzungen gehen von einer Gesamtzahl von über

100.000 Inhaftierten aus. Die Barbarei in diesen Folter-

stätten, von den staatlichen Instanzen anfangs geduldet

und z. T. auch gefördert, nahm derartige Ausmaße an,

dass die Polizei wiederholt eingreifen musste.

11

Durch die

9 Vgl. ebd., S. 204.

10 Vgl. Irene Mayer-von Götz: Terror im Zentrum der Macht. Die frühen Kon-

zentrationslager in Berlin 1933/34-1936, Berlin 2008, S. 56 u. 241 f.

11 Vgl. Bernhard Sauer: Goebbels, „Rabauken". Zur Geschichte der SA in Ber-

lin-Brandenburg, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. 25. Jahrbuch

des Landesarchivs Berlin, Berlin 2006, S. 139 ff.

Schreie der Gefolterten gestört, hatten Anwohner häufig

die Polizei alarmiert, und auch das Ausland nahm Notiz

von diesen Orten der Grausamkeit, so dass das Regime

schließlich genötigt war, gegen sie vorzugehen.

Auch sonst war das zum Teil rowdyhafte Auftreten

von SA-Männern ein öffentliches Ärgernis. „Wenn sich

Ernst und seine SA-Führer“, so schilderte der vormalige

Inspekteur des Geheimen Staatspolizeiamtes in Preußen

(Gestapo), Rudolf Diels, die Situation, „die Abende inof-

fiziell vertrieben, so wurden die Trinkereien in den Bars

und Dielen der Nürnberger- und der Kantstraße und des

Kurfürstendamms mit Schießereien beendet“.

12

Solch ein

Zwischenfall ereignete sich am 28. Februar 1934, als Ernst

mit drei Adjutanten zwischen drei und vier Uhr morgens

in dem Lokal in der großen Passage Friedrichstraße/Unter

den Linden einen Gast krankenhausreif prügelten. Später

stellte sich heraus, dass der zum Krüppel Geschlagene ein

Parteigenosse war.

13

Solche Übergriffe waren keine Selten-

heit, sie trugen dazu bei, dass die SA insbesondere in den

bürgerlich-konservativen Schichten der Bevölkerung auf

Ablehnung stieß.

14

12 Rudolf Diels: Lucifer ante portas, Stuttgart 1950, S. 276 f. (Es spricht der

erste Chef der Gestapo).

13 Vgl. Brief von Hedwig Horn an das Parteigericht München vom 5.3.1934,

in: Bundesarchiv (BArch), BDC/OPG, Karl Ernst, 1.9.1904, BArch R 9361

I/17931.

14 Longerich (wie Anm. 7), S. 177, nennt zahlreiche weitere Übergriffe von

SA-Leuten, ebenso Martin Schuster: Die SA in der nationalsozialistischen

Machtergreifung in Berlin und Brandenburg 1926-1934, Phil. Diss., TU

Berlin 2005, S. 230 ff.

Im SA-Gefängnis Papestraße in Berlin-Tempelhof wurden im Laufe des

Jahres 1933 etwa 2000 Menschen inhaftiert.

Foto: ullstein bild/Schöning