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Der sogenannte„Röhm-Putsch“ – eine Zäsur in der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes

Einsichten und Perspektiven 1 | 18

In den konservativen politischen Kreisen machte sich

aber auch die Hoffnung breit, die Konflikte mit der SA nut-

zen zu können, um die eigenen Positionen gegenüber den

Nationalsozialisten in der Regierungskoalition zu stärken

und unter Umständen sogar nach dem Ableben des nun

86-jährigen Paul von Hindenburg die Monarchie wieder

einzuführen.

15

Sie setzten ihre Hoffnungen vor allem auf

den Vizekanzler Franz von Papen. Dieser hielt am 17. Juni

in der Universität Marburg eine viel beachtete Rede, die im

Wesentlichen sein politischer Berater und Redenschreiber,

Edgar Julius Jung, unter Mitwirkung von Papens Pressechef

Herbert von Bose verfasst hatte. In dieser Rede wandte sich

der Vizekanzler mit Nachdruck gegen die Bestrebungen

der SA. Die Zeit der Emanzipation des jeweils niedrigsten

Standes gegen die höheren Stände sei vorüber, betonte er.

Kein Volk könne sich den ewigen Aufstand von unten leis-

ten. Einmal müsse die Bewegung zu Ende kommen. Mit

dem Gerede von einer „zweiten Revolution“ müsse Schluss

sein. „Deutschland“, so betonte er, „darf nicht ein Zug ins

Blaue werden, von dem niemand weiß, wann er zum Hal-

ten kommt“. Wenn eine „zweite Welle neuen Lebens durch

die deutsche Revolution gehen sollte, so nicht die soziale

Revolution, sondern [die] schöpferische Vollendung des

begonnenenWeges“.

16

Zugleich enthielt die Rede aber auch

deutliche Kritik an der Art der Herrschaft der NSDAP,

allerdings geschickt verpackt mit Zitaten aus Hitlers „Mein

Kampf“ und Lobpreisungen auf die 1933 erreichte „Einheit

des Geistes“, zu der Deutschland „fast wie ein Traum“ aus

dem Tal der Trübsal und der Hoffnungslosigkeit zurückge-

funden habe.

17

Propagandaminister Joseph Goebbels unterband die Ver-

öffentlichung dieser Rede. Bereits im Mai hatte er einen

Feldzug gegen die „Miesmacher“ und „Nörgler“ im bürger-

lich-konservativen Lager gestartet, den er im Juni noch ein-

mal intensivierte. Diese Kreise sollten sich über den bisher

erwiesenen „Großmut“ nicht täuschen, schon bald würde sie

„unsere Entschlossenheit verstehen“.

18

Von Papen reagierte

auf diese Attacken, indem er Hitler gegenüber drohte, dem

Reichspräsidenten seinen Rücktritt anzubieten. Damit

wäre die Fortsetzung der nationalsozialistisch-konservativen

Regierungskoalition in Frage gestellt gewesen.

15 Vgl. Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie, München 2008,

S. 181.

16 Wortlaut der Marburger Rede, in: Edmund Forschbach, Edgar J. Jung. Ein

konservativer Revolutionär 30. Juni 1934, Pfullingen 1984, S. 161, 171 f.

17 Vgl. ebd., S. 155 ff.

18 Longerich (wie Anm. 7), S. 209.

In dieser Situation schlug Hitler zu – nicht gegen die

bürgerlich-konservativen Kreise, sondern mit einem Ent-

hauptungsschlag gegen die Führungsriege der SA. Ein aus-

schließliches Vorgehen gegen die bürgerlich-konservative

Opposition hätte ein unkalkulierbares Risiko bedeutet,

dagegen bot die SA ein geeignetes Angriffsziel. Sie war iso-

liert und in weiten Teilen der Bevölkerung unbeliebt. „Mit

der Ausschaltung der SA‑Führung“, so der Himmler-Bio-

graf Peter Longerich, „ließe sich das Knäuel an innenpoli-

tischen Problemen auf einen Schlag lösen. Die Masse der

unzufriedenen SA‑Männer verlöre ihre Sprachrohre, die

Drohung mit der „zweiten Revolution“ wäre vom Tisch,

die Frage der Wehrverfassung hätte sich erledigt, die

Mehrheit der Bevölkerung würde die Ausschaltung dieses

Unruhefaktors mit Erleichterung hinnehmen – und das

Bündnis zwischen Nationalsozialismus und konservativen

Eliten würde gestärkt daraus hervorgehen“.

19

Die Unterstellung, dass die SA-Führung einen Putsch vor-

bereitet habe, mobilisierte Ängste und ließ Hitler als den Ver-

teidiger von„Recht undOrdnung“ erscheinen.UmdieMorde

zu rechtfertigen, wurde die SA in der Propaganda als einHort

moralischer Verkommenheit dargestellt, der nun endlich

ausgeschaltet worden sei. So hieß es in einem Kommuniqué

der Reichspressestelle: „Die Durchführung der Verhaftung

zeigte moralisch so traurige Bilder, daß jede Spur von Mit-

leid schwinden mußte. Einige dieser SA‑Führer hatten sich

Lustknaben mitgenommen. Einer wurde in der ekelhaftesten

Situation aufgescheucht und verhaftet. Der Führer gab dann

den Befehl zur rücksichtslosenAusrottung dieser Pestbeule.“

20

Die Tatsache, dass Edmund Heines in Bad Wiessee im Bett

mit einem Freund vorgefunden worden war, gab Goebbels

Gelegenheit, in seiner Erklärung zum Röhm-Putsch von

den „widerlichen und fast Brechreiz verursachenden Bil-

dern“ zu sprechen.

21

In einem Befehl Hitlers an den neuen

Stabschef der SA, Viktor Lutze, hieß es, jede Mutter solle

ihren Sohn in SA, Partei und Hitlerjugend geben können,

„ohne Furcht, er könne dort sittlich oder moralisch verdor-

ben werden“. Zum Schluss betonte der „Führer“: „Ich will

Männer als SA-Führer sehen und keine widerlichen Affen.“

22

19 Longerich (wie Anm. 15) S. 182 f.

20 Zit. n. Gritschneder (wie Anm. 5), S. 51.

21 Zit. n. Heinz Höhne: Moralsache Röhm. Hitlers Durchbruch zur Alleinherr-

schaft 1933-1934, Hamburg 1984, S. 267 f.

22 BArch, O-407, Bl. 341. Zugleich verfügte Hitler eine Reihe von Maßnahmen,

die sich gegen den verschwenderischen Lebensstil und das Landsknechtge-

baren der SA richtete. In einem Befehl Hitlers an den neuen Stabschef der

SA, Viktor Lutze, verbot dieser für die Zukunft Festessen und Diners. So seien

allein im Stabsquartier Berlin monatlich bis zu 30.000 Mark für Festessen

ausgegeben worden. Öffentliche Trinkgelage seien zu verbieten. Vgl. ebd.