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Der sogenannte„Röhm-Putsch“ – eine Zäsur in der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes

Einsichten und Perspektiven 1 | 18

abend ausgiebig gezecht und schliefen ihren Rausch aus.

Hitler ließ es sich nicht nehmen, eine Peitsche in der

Hand haltend, seinen alten Duzfreund Röhm höchstper-

sönlich die Verhaftung mitzuteilen. Der Breslauer Polizei-

präsident Edmund Heines wurde imBett mit einem Freund

vorgefunden.

4

Die SA-Führungsriege wurde ins Gefängnis

in München-Stadelheim geschafft. Auf Befehl Hitlers wur-

den die SA-Führer Wilhelm Schmid, August Schneidhu-

ber, Hans Hayn, Peter von Heydebreck, Hans Erwin von

Spreti-Weilbach und Edmund Heines von einem Kom-

mando unter Sepp Dietrich in Stadelheim erschossen. Bei

Röhm zögerte Hitler zunächst noch.

5

Am Sonntag, dem 1.

Juli 1934, erhielt der Kommandant des Konzentrationsla-

gers Dachau, Theodor Eicke, von Hitler den Befehl, Röhm

Gelegenheit zum Selbstmord zu geben. Falls er sich weigere,

solle er erschossen werden. Eicke beauftragte Michael Lip-

pert, an der Ausführung dieses Befehls teilzunehmen.

Röhm kam der durch den Gefängnisverwalter über-

brachten Aufforderung, innerhalb von zehn Minuten

Selbstmord zu begehen, nicht nach. Daraufhin betra-

ten Eicke und Lippert seine Zelle und gaben auf ihn fast

gleichzeitig zwei Pistolenschüsse ab. Lippert feuerte wahr-

scheinlich noch einen dritten, laut eigener, in der Anklage-

schrift vermerkter Aussage, „Gnadenschuss“ auf Röhm ab.

6

Auf das Stichwort „Kolibri" hin, das Goebbels an

Göring übermittelte, begannen SS‑Kommandos in Berlin

eine beispiellose Mordwelle. Zahlreiche SA-Führer wur-

den aufgegriffen und in der Lichtenfelder Kadettenanstalt,

der Kaserne der SS‑„Leibstandarte“ Adolf Hitlers, reihen-

weise erschossen. Zu ihnen gehörte auch der Berliner

SA-Gruppenführer Karl Ernst, der vom SS-Hauptsturm-

führer Kurt Gildisch von Bremen in die Kadettenanstalt

überführt und in seiner Gegenwart erschossen wurde.

Die SA als militärischer Machtfaktor innerhalb der

nationalsozialistischen Strukturen

Die SA, die schon in der Machtergreifungsphase eine

entscheidende Rolle gespielt hatte, entwickelte sich nach

4 Zum Stellenwert der Homosexualität in der SA-Führerriege vgl. Sven

Reichardt: Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im

italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln/Weimar/Wien

2

2009, S. 679 ff.

5 Zu den Gründen für das Zögern siehe: Otto Gritschneder: Der Führer

hat sie zum Tode verurteilt. Hitlers Röhm-Putsch 44 -Morde vor Gericht,

München 1993, S. 30 ff.

6 So die Anklageschrift im Prozess gegen Sepp Dietrich und Michael Lippert.

In: ebd., S. 32. Das Gericht konnte nicht einwandfrei klären, ob Lippert den

dritten Schuss abgegeben hat, hielt es aber für sehr wahrscheinlich. Vgl.

ebd., S.36.

1933 zu einer bedeutenden Massenorganisation. Mitte

1934 war ihre Mitgliederzahl von etwa 500.000 zum Zeit-

punkt der Regierungsübernahme auf viereinhalb Millio-

nen angewachsen – die zahlenmäßige Stärke der SA über-

stieg damit sogar die der NSDAP.

7

Ihre Zusammensetzung

war zwar durch die Eingliederung nationaler Wehrver-

bände, vor allem des „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“

alles andere als homogen; zudem gab es innerhalb der SA

zahlreiche Reibereien und Unmutsbekundungen insbe-

sondere der „alten Kämpfer“ über die eigene miserable

wirtschaftliche Lage. Dennoch verfügte Röhm mit dieser

Massenorganisation im Rücken über einen bedeutenden

innenpolitischen Machtfaktor, auf den gestützt er weitrei-

chende politische Ziele verfolgte. Im militärischen Bereich

beanspruchte er für sich und seine Organisation immer

nachdrücklicher die Führungsrolle.

Dieser Machtanspruch war immer mit der Forderung

nach einer „zweiten Revolution“ verbunden, die vor allem

auch die wirtschaftliche Lage der vielen SA-Mitglieder ver-

bessern sollte. Das Ziel der nationalsozialistischen Revo-

lution sei noch nicht erreicht. Die SA bezeichnete Röhm

als „Willensträger der nationalsozialistischen Revolution“.

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Mit diesen Forderungen unterstrich dieser seine machtpo-

litischen Ambitionen, die vor allem darauf abzielten, aus

7 Vgl. Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München

1989, S. 184.

8 Ebd., S. 202.

Röhm und Hitler auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1933

Foto: sz photo/Scherl