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Der sogenannte„Röhm-Putsch“ – eine Zäsur in der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes

Einsichten und Perspektiven 1 | 18

Beteiligte wurden freigesprochen, darunter Szustak. Das

Gericht glaubte ihm, dass er den Befehl seiner Vorgesetz-

ten in der Annahme ausgeführt habe, dass Kamphausen

die SA-Revolte unterstützt habe und daher seine Tötung

aus Gründen der Staatsnotwehr notwendig gewesen sei.

Ansonsten wurden Aufforderungen an das Reichsjustiz-

ministerium oder an das Reichsgericht, die Rechtmäßigkeit

einzelner Tötungen zu untersuchen, stets unter Verweis auf

das Gesetz vom 3. Juli 1934 abgelehnt. Angelaufene Verfah-

ren gegen die Täter wurden eingestellt, Strafanzeigen gegen

sie nicht mehr bearbeitet. Nicht selten wurde die Justiz bei

dem Versuch, Ermittlungen einzuleiten, behindert. Als der

damalige Gerichtsassessor Dr. Heinrich Grützer zusammen

mit seinem vorgesetzten Oberstaatsanwalt im Mordfall

General von Schleicher und seiner Ehefrau Elisabeth die

Ermittlungen aufnehmen wollte, begab sich der berüch-

tigte spätere Präsident des Volksgerichtshofes, Roland

Freisler, damals noch Staatssekretär im preußischen Justiz-

ministerium, zusammen mit drei Gestapo-Beamten gegen

Mitternacht in die Wohnung des Assessors und setzte ihn

massiv unter Druck, die Ermittlungsakten zu beseitigen.

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Nach Ablauf der Mordaktionen begann die NS-Füh-

rung systematisch, Spuren zu verwischen. Göring ordnete

die Verbrennung aller mit der Röhm-Affäre in Zusam-

menhang stehenden Akten an. Es sollten alle Dokumente

beseitigt werden, die Hinweise auf die Täter geben konn-

ten, um diese vor einer strafrechtlichen Verfolgung bei

einem möglichen Umbruch in Deutschland zu schützen.

Bis heute sind weder die exakte Anzahl der Ermorde-

ten noch der genaue Ablauf der Entscheidungsprozesse

und der Vorbereitungsmaßnahmen für die Aktion auf-

geklärt. Auch der detaillierte Verlauf der einzelnen Ver-

haftungen und Exekutionen sowie die Personalien eines

großen Teils der Täter sind immer noch unbekannt.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die

Ereignisse des „Röhm-Putsches“ im Rahmen der Nürnber-

ger Prozesse nur allgemein thematisiert. Zu einer systemati-

schen Untersuchung einzelner Mordfälle kam es erst durch

bundesdeutsche Gerichte. Der erste Prozess dieser Art war

das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Führer Kurt Gil-

disch, der beschuldigt wurde, Erich Klausener ermordet zu

haben. Es fanden danach einzelne Verfahren gegen unterge-

ordnete SS-Angehörige statt. Ein in der Öffentlichkeit viel

beachteter Prozess im Zusammenhang mit dem „Röhm-

Putsch“ wurde dagegen vor dem Landgericht München

1957 durchgeführt. Angeklagt waren der ehemalige Kom-

mandant der Wachmannschaften im Konzentrationslager

Dachau, Michael Lippert, sowie der Befehlshaber der „SS-

Leibstandarte Adolf Hitler“ und spätere SS-Oberst-Grup-

penführer und Kommandeur der 6. SS-Panzerarmee, Sepp

Dietrich, wegen Ermordung von Röhms und weiterer SA-

Führer. Es handelte sich um das umfangreichste Gerichts-

verfahren zu den Morden. Bereits im Januar 1949, hatte

die Münchner Staatsanwaltschaft eine Ermittlungsakte

angelegt. Im Verlauf der Untersuchungen und der Revision

beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe wuchs dieser Fall auf

61 Aktenbestände mit insgesamt 5700 Seiten an – eine erst-

rangige Quelle zu den Abläufen der Verbrechen.

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35 Vgl. Gritschneder (wie Anm. 5), S. 41. Grützer hat die Akten jedoch nicht

vernichtet. Sie sind in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte 1 (1953),

S. 71-95, wiedergegeben.

36 Vgl. ebd., S. 80.

Während der Verbleib der sterblichen Reste anderer Opfer – wie etwa Fritz

Gerlichs – unbekannt ist, erhielt der NS-Täter Ernst Röhm ein bürgerliches

Grab auf dem Münchner Westfriedhof.

Foto: Monika Franz