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Einsichten und Perspektiven 3 | 17

denen sich die Positionen von Angela Merkel und Martin

Schulz nur in Nuancen unterscheiden – waren dominant.

Für die Zuschauerinnen und Zuschauer konnten wirk-

liche parteipolitische Unterschiede nur in einem kurzen

„Ja-Nein-Frage-Antwort“-Block klar ersichtlich werden –

der das einzige Novum beim diesjährigen Duell darstellte.

Als Raum verdichteter, höchst intensiverWahlkampfkom-

munikation war das Kanzlerduell eine eigene kleine Kampa-

gne im Gesamtwahlkampf. TV-Debatten erfüllen eine Viel-

zahl von Funktionen – z.B. versuchen die Spitzenkandidaten

in ihnen die beträchtliche Zahl noch unentschlossener Wäh-

ler für sich zu gewinnen, auf den letzten Metern des Wahl-

kampfendspurts Journalisten zu überzeugen und den Ton

der Medienberichterstattung zu ihren Gunsten zu verbessern

oder aber bestehende Sympathien für einen Kandidaten zu

verstärken. Auch in diesem Bundestagswahlkampf fieberten

Parteien, Journalisten und nicht zuletzt Wählerinnen und

Wähler auf das Duell drei Wochen vor dem Urnengang hin.

Besonders die SPD und ihr Spitzenkandidat Martin Schulz

hofften, in der Konfrontation mit Angela Merkel noch ein-

mal „Boden“ gutzumachen und die vielen Journalisten, die

für den „Herausforderer“ keine realistische Chance auf einen

Wahlsieg mehr sahen, vom Gegenteil zu überzeugen.

1

Der Auftritt der beiden Kandidaten und ihre Argumenta-

tion traten aber angesichts zweier Streitpunkte in den Hin-

tergrund: Vor dem Duell wurde die vermeintliche Einfluss-

nahme der Amtsinhaberin Angela Merkel auf die Gestaltung

des Formats breit kritisiert.

2

ImNachgang der Debatte wurde

wiederum dem Moderatorenteam eine einseitige und popu-

listische Themen- und Fragenauswahl vorgeworfen.

3

All das

verdeutlicht mehrere Punkte: Obwohl die Kommunikations-

und Politikwissenschaft mehrfach nachweisen konnte, dass

1 Lisa Caspari: „Schulz sollte im TV-Duell nicht mit Merkel reden“, Interview

mit Frank Stauss, Zeit Online v. 30.08.2017, online abrufbar unter: http://

www.zeit.de/politik/deutschland/2017-08/bundestagswahlkampf-tv-du-

ell-martin-schulz-frank-stauss [Stand: 18.09.2017].

2 Deutscher Journalisten-Verband: Kanzlerduell. Veränderungen erforder-

lich, Pressemitteilung v. 29.08.2017, online abrufbar unter: https://www.

djv.de/startseite/profil/der-djv/pressebereich-download/pressemitteilun-

gen/detail/article/veraenderungen-erforderlich.html [Stand: 18.09.2017];

Welt.de

v. 26.08.2017: Vorwürfe gegen Merkels Bedingungen für das

TV-Duell mit Schulz, online abrufbar unter:

https://www.welt.de/politik/

deutschland/article168016093/Vorwuerfe-gegen-Merkels-Bedingungen-

fuer-das-TV-Duell-mit-Schulz.html [Stand: 18.09.2017].

3 Stefan Koldehoff: „Das journalistische Resultat war unterdurchschnittlich“,

Interview mit Volker Lilienthal,

Deutschlandfunk.de

v. 04.09.2017, online

abrufbar unter:

http://www.deutschlandfunk.de/moderatoren-beim-

tv-duell-das-journalistische-resultat-war.2907.de.html?dram:article_

id=395054 [Stand: 18.09.2017]; Kathleen Hildebrand: Die Angst der Mo-

deratoren vor dem Mob,

Sueddeutsche.de

v. 04.09.2017, online abrufbar

unter:

http://www.sueddeutsche.de/medien/tv-duell-die-angst-der-mo-

deratoren-vor-dem-mob-1.3652046 [Stand: 18.09.2017].

TV-Debatten demokratisches Potenzial besitzen und Wähler

sowohl mobilisieren als auch informieren können, treten die

Argumente der Kandidaten in der öffentlichen Debatte vor

und nach den Duellen häufig in den Hintergrund. Obwohl

es sich um das vermutlich wichtigste Wahlkampfereignis

handelt, wurde die Planung und Organisation zwischen den

ausstrahlenden Sendern und den Parteien lange nicht beach-

tet. Dabei wird schon länger argumentiert, dass angesichts

der Bedeutung der Duelle klare Regeln und transparente

Entscheidungen notwendig seien.

4

Nicht zuletzt spiegelt sich

auch imTV-Duell einWandel vonWahlkämpfen und politi-

scher Debatte wider. Populismus, Polarisierung und Big Data

als große Trends der jüngsten Wahlkämpfe in Europa und

Amerika bildeten die Hintergrundfolie auch für den Bundes-

tagswahlkampf 2017.

Welche Wirkung haben TV-Debatten nun auf Wäh-

lerinnen und Wähler? Wie verläuft die Organisation von

TV-Duellen und welche Rollen spielen sie (noch) im Wahl-

kampf? Der vorliegende Beitrag setzt sich mit diesen Fragen

auseinander und bietet einen Überblick über die Forschung

zur Wirkung von TV-Debatten auf Wählerinnen und Wäh-

ler, zum Umgang mit diesem Format in der Wahlkampfbe-

richterstattung sowie zu Rhetorik und Argumentationsstra-

tegien der Kandidaten. Außerdem wagen die Autoren einen

Blick hinter die Kulissen der Organisation vonTV-Debatten.

Zweitens werden aktuelle Veränderungen in den Kampag-

nen der Parteien und demmedialen Umfeld des Bundestags-

wahlkampfs nachgezeichnet, um die Frage zu beantworten,

welche Bedeutung das „klassische“ Format der TV-Debatte

(noch) haben wird. Zuletzt wird der Blick auf den Bundes-

tagswahlkampf 2017 gerichtet und erörtert, wie die beste-

henden Forschungsergebnisse zu TV-Debatten vor diesem

Hintergrund einzuordnen sind und welche Fragen das Duell

„Merkel vs. Schulz“ für kommende Debatten aufwirft.

Zwischen Wahlkampfinstrument und demokratischer

Lehrstunde: Wirkungen, Inhalte und Organisation

von TV-Debatten

Das TV-Duell ist nicht nur ein wichtiges Wahlkampfins-

trument für die Parteien. Es ist auch ein Fernsehformat mit

demokratischem Potenzial; die Bedeutung von Fernsehde-

batten sollten nicht unterschätzt werden. Die politik- und

kommunikationswissenschaftliche Forschung hat interes-

sante Antworten auf die Fragen gefunden, ob Debatten als

Hilfestellung für Wähler dienen, welche Effekte sie auf Wahl-

4 Vgl. Christoph Bieber: Wer darf auf die große Bühne?, in: Frankfurter All-

gemeine Zeitung v. 10.03.2016, S. 15.

Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2017