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Einsichten und Perspektiven 3 | 17
Mit ihrer Stimmabgabe übertragen Wähler Macht an Par-
teien und Politiker. Neben langjähriger Parteineigung oder
-identifikation spielen auch aktuelle, kurzfristigere Einstel-
lungen zu den Parteien eine wichtige Rolle. Letztere haben
vor allem auf die Gruppe der Wechselwähler und Unent-
schlossenen eine große Wirkung. Weil die Stammwähler-
schaft der Parteien bei Bundestagswahlen immer kleiner
wird und die langfristigen Faktoren der Wahlentscheidung
an Bedeutung verlieren, werden die mittel- und kurzfristi-
gen Faktoren und damit der Wahlkampf an sich wichtiger.
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Das TV-Duell kann einer der wichtigsten kurzfristigen Fak-
toren sein, weil es generell mehr Zuschauer vor die Bild-
schirme holt als jedes andere Wahlkampfinstrument und
darüber hinaus besonders attraktiv für unentschlossene und
politisch eher uninteressierte Wähler ist. Um die Stamm-
wähler zu mobilisieren und Unentschlossene zu überzeu-
gen, kommunizieren Parteien im Wahlkampf direkt, aber
vor allem medienvermittelt mit der Wählerschaft.
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Darum
hat auch die Auswahl und Interpretation der Wahlkamp-
fereignisse durch Journalisten einen indirekten Einfluss auf
die Wahlentscheidung. Das TV-Duell nimmt unter diesem
Aspekt eine herausragende Stellung ein. Denn anders als
in der sonstigen Berichterstattung bietet es den Kandida-
ten viel Raum, die eigenen Botschaften zu vermitteln, ohne
dabei der direkten journalistischen Auswahl unterworfen zu
sein – wenngleich keinesfalls unterschätzt werden sollte, wie
einflussreich das Verhalten der Moderatoren auf die Inhalte
der Debatten ist. Die Anzahl der Moderatoren, deren Fra-
geverhalten und natürlich die Themenauswahl haben enor-
men Einfluss auf Inhalte und Redefluss des Duells. Von
ihnen ist letztlich abhängig, wie viel Raum den Kandidaten
geboten wird und manchmal auch, wie sehr überhaupt ein
Austausch zwischen den Kandidaten entsteht.
Ganz allgemein hat sich das Beziehungsgeflecht zwi-
schen Wählern, Politikern und Massenmedien in den ver-
gangenen Jahrzehnten immer wieder gewandelt. Früher
war der Wahlkampf von den Parteien geprägt, er fand in
den Wahlkreisen und auf der Straße statt. Durch Flugblät-
ter, Plakate sowie Zeitungsanzeigen warben die Parteien um
Wählerstimmen – auch abhängig von einem starken Enga-
gement der Parteimitglieder. Heute werden Wahlkämpfe
mit den Begriffen der Professionalisierung und Personali-
25 Vgl. Frank Brettschneider: Wahlkampfkommunikation 2013: Themenma-
nagement mit Wahlprogrammen, Plakaten und Kanzlerduell?, in: Wandel
und Kontinuität der politischen Kommunikation, hg. v. Michael Jäckel/Uwe
Jun, Opladen/Berlin/Toronto 2015, hier S. 46 f. Karl-Rudolf Korte: Wahlen
in Deutschland. Grundsätze, Verfahren und Analysen, Bonn 2017.
26 Korte (wie Anm. 25), S. 133 ff.
sierung beschrieben, vor allem durch das Internet wird zum
immer wichtigeren Schauplatz.
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Allein das TV-Duell ist
vor allem auch einer der deutlichsten Ausdrücke der Perso-
nalisierung moderner Wahlkämpfe. In den Debatten stehen
einzelne Politiker und ihre Argumente im Mittelpunkt. Sie
sind damit Symbol der medialen Fokussierung auf politi-
sches Spitzenpersonal. Dieser Trend lässt sich auch beim
Wahlkampfmanagement der Parteien beobachten. Zwar
ist es nicht neu, dass die Kandidaten der beiden großen
Parteien im Zentrum der Kampagnen zur Bundestagswahl
stehen – die CDU setzte mit dem Slogan „Auf den Kanz-
ler kommt es an“ bereits 1969 auf die Person Kurt Georg
Kiesingers, die SPD erfand 1961 das Konzept des „Kanz-
lerkandidaten“ und stellte mit Willy Brandt das erste Mal
einen solchen auf.
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Dennoch sind Spitzenkandidaten vor
Wahlen auch in Deutschland noch wichtiger geworden wie
auch die medialen Kampagnen. Aber nicht nur das Wahl-
kampfmanagement der Parteien und die Berichterstattung
in den Medien wurden personalisiert. Auch die individuelle
Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger richtet sich
immer stärker an Personen aus. So spielen Sympathien für
die Spitzenkandidaten eine immer größere Bedeutung für
die Wahlentscheidung, während die Positionen der Parteien
an Einfluss verloren haben.
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Trotz der großen Bedeutung der Spitzenkandidaten gilt
gerade für die Bundestagswahl, dass es nicht ausreicht, cha-
rismatisches und beliebtes Personal in das Zentrum eines
Wahlkampfs zu stellen. Politiker müssen, so eine Grund-
regel politischer Kommunikation, immer mit für den
Wähler interessanten Themen verbunden werden, um zu
punkten.
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Was eben diese Themen sind, ist schwer vorher-
zusagen und von vielen Einflüssen abhängig. Trotzdem ver-
suchen Parteien und Kandidaten, die aus ihrer Sicht wich-
tigen Themen stark zu machen. Das Kanzlerduell ist eine
Gelegenheit für die Spitzenkandidaten von CDU und SPD,
gezielt Kernthemen aus ihrenWahlprogrammen zu stärken.
Neben demVersuch, die Themen zu hervorzuheben, die für
die jeweiligen Parteien zentral sind und bei denen ihnen
große Kompetenz zugeschrieben wird – dem sogenannten
„Agendasetting“ –, versuchen Parteien auch Debatten um
Probleme, die nicht zu ihren Kernkompetenzen zählen
oder in denen sie keine Lösungen anbieten können, Auf-
27 Ebd. Brettschneider (wie Anm. 25).
28 Vgl. Andrea Römmele: Köpfe oder Themen. Konkurrenten um die Kanzler-
schaft, in: Bürger & Staat 67 (2017), H. 2, S. 132-140.
29 Vgl. zusammenfassend: Ebd. (wie Anm. 28), S. 133 f., S. 138.
30 Vgl. Brettschneider (wie Anm. 25), S. 50; Korte (wie Anm. 25), S. 144 f.
Das TV-Duell im Bundestagswahlkampf 2017