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Politische Bildung und Integration im digitalen Zeitalter

Einsichten und Perspektiven 2 | 16

In diesem Kontext sollte politische Bildung zudem auf das

Paradoxon aufmerksam machen, dass zwar einerseits poli-

tische Probleme, Entscheidungen und Strukturen immer

weniger durchschaubar und komplexer werden, anderer-

seits aber soziale Medien eher Stimmungen statt sachli-

cher Inhalte zu deren Aufklärung verbreiten. Je mehr in

der politischen Diskussion auf Stimmungen geachtet und

somit ein „Herdenverhalten“ begünstigt werde, so Hen-

drik Hansen, desto mehr würde die Politik ihrerseits in

Konflikt geraten zwischen irrationaler und kurzfristiger

Orientierung an den vorherrschenden Stimmungen und

langfristigem Handeln nach rationalen Erfordernissen. 

34

Dieser Aspekt berührt neben der für politische Bildung

wesentlichen Grundlage der Urteilsbildung auch die Frage

nach der Legitimation politischen Handelns. Indem in der

mediatisierten Politik so verstanden Legitimation durch

Kommunikation erfolge, stehen für Ulrich Sarcinelli die

Akteure im politischen Prozess vor besonderen Herausfor-

derungen beim Umgang mit Medien. Daher gelte es nach

wie vor, „dass eine alleinige Medienpräsenz (zumal ohne

Sachkompetenz) nicht automatisch eine Legitimations-

prämie bedeute.“ 

35

Deswegen müssen die Politikvermittlung, die politi-

sche Kommunikation und auch der politische Prozess

als solches unter den digitalen Vorzeichen einer Medi-

endemokratie gesehen und beurteilt werden. Denn die

Inszenierung von Politik und ihre Wahrnehmung in den

digitalen Medien bestimmen wesentlich das Verständnis

und die Bewertung des Politischen. Politik zu beurteilen

wird somit nicht leichter, sondern erfordert künftig eine

besondere Urteilsfähigkeit, wenn man bei der Bewertung

von Politik nicht zu sehr am symbolischen Gehalt ihrer

Darstellung hängenbleiben will. Anja Besand geht indes

noch weiter, wenn sie sagt, dass Politik in der Medien-

gesellschaft ohne ihre medialen Erscheinungen gar nicht

mehr verstanden werden könne. Sie warnt die politische

Bildung folglich davor, „die verwirrenden und uneindeu-

tigen medialen Aspekte“ des Politischen außer Acht zu

lassen und es „einzig auf abstrakte, institutionelle oder

rational steuerungstheoretische Aspekte zu reduzieren zu

wollen“. 

36

Die Politik sei von der medialen und symbo-

lischen Vermittlung ihrer Inhalte nicht mehr zu trennen,

weshalb Institutionenkunde, politische Zyklen oder das

Idealbild demokratischer Repräsentation zwar eindeutig

34 Ebd.

35 Ebd.

36 Besand (wie Anm. 14), S. 369.

vermittelbar scheinen mögen, aber den pluralen Erschei-

nungsformen des Politischen in modernen Mediendemo-

kratien nicht mehr entsprächen. 

37

Abzuwarten bleibt, wie

sich das Verständnis und mit ihm der Begriff des Politi-

schen und der Politik im Zeitalter digitaler Mediendemo-

kratien weiterentwickeln werden. Es scheint zumindest,

dass die digitale Vermittlung von Politik mehr ist als nur

ihre moderne Performance. Mutiert im Bereich des Politi-

schen die Form immer mehr zum Inhalt, die Darstellung

immer mehr zum Begriff? Hierauf wird die politische Bil-

dung ein wachsames Auge werfen müssen.

Politische Bildung leitet an

Zum anderen muss die politische Bildung neben dem auf-

klärerischen Blick auf das politische Potenzial der Digitali-

sierung selbst zur Plattform werden, um (künftigen) Bür-

gern den verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen

Medien und Kommunikationsformen zu vermitteln. Medi-

enkompetenz versteht sich in diesem Sinn auch als Anlei-

tung zum Gebrauch der neuen medialen Möglichkeiten.

Dies ist kein Gegensatz zur aufgeklärten und reflektierten

Haltung gegenüber den digitalen Medien, sondern ihre

Voraussetzung. Eine seriöse und wirksame Medienkompe-

tenz gibt es nicht ohne Medien, sondern nur mit ihnen,

denn „wie wollen wir Kinder auf die Medienwelt vorbe-

reiten, wenn wir sie medienabstinent erziehen?“ 

38

Anders

ausgedrückt kann hier das didaktische Prinzip der Hand-

lungsorientierung herangezogen werden, um vor allem in

der Schule den jungen Mediennutzern die nötigen prakti-

schen Fertigkeiten durch learning by doing zu vermitteln.

Handlungsorientierte Einsatzmöglichkeiten

Die vielfältigen fachspezifischen Arbeitstechniken in der

politischen Bildung sind ein willkommenes Praxisfeld für

digitale Medien. Ihr Lernpotenzial entfalten sie erst durch

ihren sinnvollen Gebrauch.

Information und Recherche: Das Netz bietet zu allen rele-

vanten Themen zu jeder Zeit und an jedem Ort eine riesige

Bandbreite und Fülle an Informationen für das Recherchie-

ren. Dabei besteht die Herausforderung für die Urteilsfähig-

keit nicht im Finden von Informationen, sondern im Erken-

nen und Herausfiltern desWesentlichen, desWichtigen oder

des Neuen. Zudem wird die Fähigkeit geschult, Quellen auf

ihre Glaubwürdigkeit und Echtheit zu untersuchen.

37 Vgl. ebd.

38 Interview mit dem Medienpädagogen und Erziehungswissenschaftler Nor-

bert Neuss: Lernen mit digitalen Medien. Eine Chance für unsere Kinder?, in:

Wortspiegel, 2/2015, S. 9.