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Politische Bildung und Integration im digitalen Zeitalter
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
mit Beiträgen in Foren, Blogs, auf Twitter oder Wikipedia
teil. Nur 18 Prozent geben an, sich überhaupt an Foren
und Diskussionen zu beteiligen, nur neun Prozent betrei-
ben einen Blog.
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Auch zur Förderung von freiwilligem
Engagement scheint das Internet wenig beitragen zu kön-
nen. Zwar sind bei politikinteressierten Internetnutzern, bei
Mitgliedern von Internetgruppen und bei Produzenten im
Netz die engagierten Jugendlichen jeweils in der Mehrheit,
jedoch nutzen diese das Internet nicht häufiger als weni-
ger engagierte. Eine weitere Untersuchung zeigt, dass das
Internet aber auch keine negativen Auswirkungen auf das
bürgerliche Engagement hat.
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Nutzen und Chancen digitaler Politikvermittlung erklä-
ren sich auch nicht schon dadurch, dass seit 2002 die Aus-
stattung Jugendlicher mit digitalen Medien sprunghaft
und kontinuierlich zunimmt.
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Das Motiv der Internet-
nutzung bei Jugendlichen spricht indes eine klare Sprache.
Sie nutzen digitale Medien hauptsächlich zur Kommuni-
kation und Unterhaltung, am wenigsten zur Information.
Innerhalb der informationsbezogenen Nutzung werden
Angebote wie Nachrichtenportale nur von 15 Prozent der
Jugendlichen regelmäßig angeklickt. Es ist demnach der-
zeit nicht feststellbar, dass sich durch die Verbreitung digi-
taler Medien auch die Beschäftigung mit Politik vermehrt
oder intensiviert hat. Ein Mehr an digitalen politischen
Informationen und Partizipationsangeboten bedeutet erst
recht kein Plus an substanzieller politischer Bildung. Dies
wäre eine unzulässige Schlussfolgerung aus der viel disku-
tierten Informationsgesellschaft.
Von der Demokratie zur Mediokratie?
Indessen ist selbstverständlich, dass sich die Politik zuneh-
mend der digitalen Vermittlung ihrer Inhalte und Bot-
schaften bedient. So sind beispielsweise modern geführte
Wahlkämpfe ohne Internet-Präsenz und Aktionen in den
sozialen Medien nicht mehr vorstellbar. Politiker kommen-
tieren darin regelmäßig das politische Geschehen oder pub-
lizieren ihre Standpunkte und Aktivitäten auf ihren Web-
sites. In demMaße, in dem Politik und Medien aufeinander
angewiesen sind, werden sich die Politik und deren Vermitt-
lung auch weiterhin den Ansprüchen der digitalen Medien
anpassen, um der Akzeptanz ihrer Nutzer willen. Die These
des Dortmunder Politikwissenschaftlers Thomas Meyer, der
21 Vgl. JIM-Studie 2014, BITKOM-Studie Jugend 2.0., in: Schaumburg, (wie
Anm. 8), S. 32.
22 Vgl. Rauschenbach et al. 2011, Wagner/Brüggen/Gebel 2009 in: Bertels-
mann-Stiftung (wie Anm. 8), S. 32 f.
23 Vgl. Schaumburg (wie Anm. 8), S. 24.
in diesem Zusammenhang von der „Mediokratie“ spricht,
die das politische Geschäft der Medienlogik unterwerfe,
spitzt Michael Schröder noch zu: „Politisch relevant ist nur
das, was auf der Agenda der Medien ganz oben steht. Was
nicht in den Medien vorkommt, ist nicht passiert.“
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Haben die Medien also die Politik in der Hand? Bestim-
men sie die Themen und die Art ihrer Vermittlung? Haben
die Medien und ihre Macher als „vierte Gewalt“ gar so viel
Macht, dass die Politik im Bann medialer Funktionslogik
ihre gebotene Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ver-
liert? Diesen Zusammenhang moniert Wolfgang Sander in
sehr grundsätzlicherWeise, wenn er dendrohenden „techno-
logischen Totalitarismus“ nach Frank Schirrmacher zitiert,
wonach es „um die Rückgewinnung der Macht durch legi-
time Regierungen gegenüber einer schleichenden Macht-
konzentration in einer Industrie (gehe), die sich gerne hip,
smart und harmlos gibt.“
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Wenn diese Mahnung zutrifft,
muss sich die Demokratie im digitalen Zeitalter in der Tat
herausgefordert sehen, zumal sich der gesellschaftliche und
politische Einfluss digitaler Medien und ihrer Lenker nicht
demokratisieren lässt. Demokratisch gewählte Politiker sind
auf Zeit bestellt und können abgewählt werden, Konzern-
lenker nicht. Und was, wenn an der Spitze der Internet-
Konzerne nicht mehr „die freundlichste und gutmütigste
Diktatoren-Klasse in der Geschichte der Menschheit“ steht,
„die es irgendwie gut mit der Welt“
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meint?
24 Vgl. Michael Schröder: Politische Bildung in der digitalen Mediokratie, in:
Münch/Scherb/Eisenhart/Schröder (wie Anm. 18), S. 241.
25 Sander, (wie Anm. 15), S. 11.
26 Jaron Lanier: Warum wollt ihr unseren Quatsch? Interview mit der Frank-
furter Allgemeinen Zeitung, in: FAZ vom 03.07.2015, zit. nach Sander (wie
Anm. 15), S. 11.
Quelle: Gerhard Mester