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Politische Bildung und Integration im digitalen Zeitalter
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
Dass die digitale Welt auch unsere regionalen Lebensgewohnheiten tiefgreifend verän-
dert, zeigt sich zum Beispiel daran, dass in Augsburg Bodenampeln installiert werden, die
den nach vorne gebeugten Smartphone-Nutzern das unfallfreie Überqueren von Straßen
ermöglichen sollen. „Bompeln für Smombies“ – schöne neue Welt?
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Für die FDP scheint
die Sache klar: Mit dem Schlagwort „Digital first – Bedenken second“ gaben die Freien
Demokraten auf ihrem Parteitag 2016 ein klares Bekenntnis zur Digitalisierung und zur
Offenheit für Veränderung und Fortschritt: „German Mut“ statt „German Angst“. Das
Zukunftslabor Deutschland auf dem Weg zur „Beta-Republik“?
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Die Freien Demokraten
jedenfalls plakatieren offensiv, dass sie bereits in der Zukunft angekommen seien. Zwar
sind solche Slogans bekanntermaßen pointierte parteipolitische Reklame, spiegeln jedoch
auch immer die jeweils aktuellen gesellschaftspolitischen Strömungen und Stimmungen.
Ob man dem Digitalen nun bedenkenlos und forsch folgt
oder als Bedenkenträger chronisch zögert und zaudert:
Die digitale Zukunft ist längst Gegenwart und erfordert
vernünftige Reaktionen und Weichenstellungen, denn
das Tempo des technologischen Fortschritts und ihre
gesellschaftspolitischen Ausprägungen spazieren nicht im
Gleichschritt mit dem Ruhepuls der politischen Organe
und deren Betriebstemperatur. Aus diesem Grund sind
gerade Bildung und Wissenschaft in besonderer Weise
aufgerufen, ihre Kunden kompetent und konstruktiv in
die neue Zeit mitzunehmen.
Digitalisierung in Schule und Bildung
Die Bildungslandschaft reagiert insbesondere imBereich der
digitalen Medien auf die sich verändernde Rezeption und
Verarbeitung von Informationen. Denn durch die Digitali-
sierung wird sich naturgemäß auch das (außer-) schulische
Arbeiten und Lernen nachhaltig wandeln, weit mehr, als
dies beim Übergang von der Schiefertafel zum Heft oder
beim Siegeszug des Computers der Fall war. Zahlreiche
neue Methoden des Lernens werden bereits praktiziert
und verändern überdies das Beziehungssystem zwischen
Lehrenden und Lernenden: YouTube-Angebote mit Infor-
mations- und Trainingseinheiten, neue Unterrichts- und
Vorlesungsformen wie Webinare und Web-Based-Training,
digitale Schulbücher und Lernmaterialien oder zahlreiche
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http://www.n-tv.de/panorama/Augsburg-installiert-Ampeln-im-Boden-article17527851.html [Stand: 09.06.2016].
2 Der Begriff aus der Sprache der Digitalisierung beschreibt in der Soft-
ware-Entwicklung ein Zwischenstadium, die so genannte „Beta-Version“.
Vgl. Allessandro Peduto: Zurück zu altem Selbstvertrauen, in: http://www.
freiepresse.de/NACHRICHTEN/DEUTSCHLAND/Zurueck-zu-altem-Selbst-vertrauen-artikel9499498.php [Stand: 30.04.2016].
Schüler- und Studienplattformen sind nur einige Beispiele.
Zusätzlich haben das Web 2.0 bzw. 4.0 und die Social
Media mit ihren technischen Möglichkeiten und Mach-
barkeiten in allen Lebensbereichen die Tür zu einer neuen
Qualität der universellen Wahrnehmung der Welt und des
Sich-in-ihr-Bewegens aufgestoßen, allerdings nur für jene
Altersgruppen, die noch hauptsächlich im analogen Zeital-
ter aufgewachsen sind. Jenen digitalen Paradigmenwechsel
registriert hingegen die Generation der „Digital Natives“
wohl kaum als „Revolution“, lebt sie doch seit jeher in einer
digital-medialen Welt, und deren Reichweite ist umfassend.
Mittlerweile verfügen in der Altersgruppe von 12 bis 25
Jahren 96 Prozent der Deutschen über einen Internetzu-
gang, den sie seit Jahren in zunehmendem Umfang nutzen,
bis zu 13 Stunden wöchentlich.
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Bei aller Unterhaltungs-
und Netzwerk-Funktion lässt indes aufhorchen, dass drei
Viertel der Onliner im Internet wöchentlich regelmäßig zu
Bildungszwecken für die Schule, die Ausbildung oder das
Studium unterwegs sind.
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Fußend auf der „Idee der gegen-
seitigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit“
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als der Grund-
lage digitaler Information und Kommunikation müsste es
für die Förderung von Bildungsprozessen geradezu verhei-
ßungsvoll sein, wenn auf digitalen Kanälen Bildung jederzeit
verfügbar und jedermann für Bildung jederzeit erreichbar
3 Die Kehrseite der Medaille: Die Abhängigkeit von Internet und Computer-
spielen wurde zum Schwerpunkt des aktuellen Drogen- und Suchtberichts
der Drogenbeauftragten der Bundesregierung. Demnach werden 560.000
Menschen zwischen 14 und 64 Jahren als internetabhängig bezeichnet. Bei
den 14- bis 16-Jährigen sind 4% internetsüchtig. Vgl. Die Drogenbeauftrag-
te der Bundesregierung: Drogen- und Suchtbericht, Juni 2016, S. 100ff.
4 Vgl. Shell Deutschland Holding (Hg.): Jugend 2010. Eine pragmatische Ge-
neration behauptet sich, Bonn 2010, S. 101–110.
5 Shell Deutschland Holding (wie Anm. 4), S. 105.