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Politische Bildung und Integration im digitalen Zeitalter
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
Aber befördern andererseits die digitalen Medien nicht
auch die gewünschte Breitenwirkung des Politischen in
die Bevölkerung hinein, angesichts einer flächendecken-
den Internet-Präsenz? Ergibt sich daraus nicht auch ein
umfänglicher Begründungs- und Rechtfertigungsdruck
seitens der Öffentlichkeit gegenüber den politisch Ver-
antwortlichen, welcher der demokratischen Transparenz
dient? Tragen die vielfältigen Möglichkeiten, sich aus
verschiedensten Quellen politisch zu informieren, nicht
auch zur politischen Bildung in einer freiheitlichen und
pluralen Gesellschaft bei?
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Welchen Beitrag zur Bewälti-
gung der digitalen Herausforderung können oder müssen
Schule und politische Bildung leisten?
Allein aus diesen wenigen Fragen resultieren zukunfts-
weisende wissenschaftliche und pädagogische Fingerzeige
für die politische Bildung, die hier im Einzelnen nicht
besprochen werden können. ImKern geht es um das Erken-
nen von Chancen und Grenzen digitaler Medien, denen die
Politikvermittlung und das politische Lernen gegenüber-
stehen: um den zentralen Begriff der Medienkompetenz.
Einige wesentliche Aspekte werden im Folgenden skizziert.
Auftrag: politische Medienkompetenz
Wenn Kultur und Gesellschaft zunehmend von der Medi-
enkommunikation geprägt werden und die so verstandene
Mediatisierung den Stellenwert erhält als „ähnlich über-
greifender Entwicklungsprozess wie Globalisierung oder
Individualisierung“, wie dies der Bremer Kommunika-
tions- und Medienwissenschaftler Friedrich Krotz formu-
liert, gehört die Aufklärung über solche Prozesse zum urei-
genen Geschäft politischen Bildens und Erziehens. Umso
mehr, als er unter Mediatisierung die „Unterordnung
von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur unter
die Logik und Zwänge einer immer mehr und umfassen-
der medial geprägten Welt“ meint.
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Verlieren dadurch
die existenziellen und kulturellen Ordnungsformen des
Zusammenlebens ihren anthropologischen Selbstwert?
Eine politische Medienerziehung muss die Nutzer als poli-
tische Bürger begreifen und sie in die Lage versetzen, diese
Entwicklung kritisch zu beleuchten, die Medienmacher zu
hinterfragen und die Medien selbst reflektiert zu gebrau-
chen. Zielkategorie solcher Bemühungen ist der mündige
politische Bürger, der sich der multimedialen Angebote
bedienen kann und ihnen gleichzeitig im Wissen um
27 Vgl. hierzu auch Besand (wie Anm. 14), S. 367.
28 Andreas Kalina: Mediatisierte Gesellschaften. Kommunikation und Sozi-
alwelten im Wandel, in: Akademie für Politische Bildung Tutzing (Hg.):
Akademie-Report 02/2016, S. 6.
ihre Funktionslogik aufgeklärt gegenübersteht. Mit dieser
Beschreibung sind zwei Hauptstränge politischer Medien-
kompetenz im digitalen Zeitalter umrissen.
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Politische Bildung klärt auf
Zum einen muss politische Medienkompetenz zur Schu-
lung der rationalen Urteilsbildung das Wissen über medi-
ale Funktionsweisen vermitteln und ihren Einfluss auf die
menschlichen Lebensbereiche beleuchten. Ein aufgeklärter
Mediennutzer sollte beispielsweise erkennen und angemes-
sen beurteilen können, welche Autoren und Urheber, Inter-
essen und Absichten hinter den medialen Angeboten stehen,
welche Informationen und Inhalte seriös oder dubios, nütz-
lich oder schädlich bzw. welche Handlungen riskant oder
gar verboten sind, auch und gerade im Bereich des Politi-
schen. Denn das eigentlich Politische wird eher unschär-
fer und unklarer, je unübersichtlicher die neuen medialen
Erscheinungsweisen von Politik sind und je mehr sie sich
um Darstellung und Inszenierung bemüht.
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Deshalb
gehört notwendig zur Medienkompetenz die Fähigkeit zur
Bewertung, „in der Informationsflut das Wesentliche vom
Unwesentlichen zu unterscheiden“,
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sowie die Fähigkeit zur
bewussten und gezielten Auswahl medialer Angebote. Dies
umso mehr, als die algorithmische Steuerung durch Such-
maschinen und soziale Netzwerke immer mehr dazu führt,
dass Mediennutzer zunehmend nur noch jene Informatio-
nen suchen und erhalten, die sie bislang in ihrer medialen
Biografie bevorzugten und die damit ihre Anschauungen
und Dispositionen einseitig manifestieren: „Man rezipiert
vorrangig das, was einen zufrieden und glücklich macht“,
so Caja Thimm.
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Dieses in der medienwissenschaftlichen
Diskussion als „Echokammer“ oder „Filterblase“ bezeich-
nete Phänomen beeinflusst stark die kommunikative Mei-
nungs- und Urteilsbildung und trägt ihr zufolge dazu bei,
dass digitale Öffentlichkeitsstrukturen stark fragmentiert
sind, indem separate Teilöffentlichkeiten
(„Mini Publics“
wie auf Facebook und Twitter) nebeneinander existieren,
zwischen denen aber kein relevanter Diskurs stattfindet.
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Dies führt zur Frage, wie repräsentativ die politische Mei-
nungsbildung in sozialen Netzwerken sein kann und wel-
cher Stellenwert ihr folglich beigemessen werden darf.
29 Zu den Dimensionen von Medienkompetenz siehe auch Schaumburg (wie
Anm. 8), S. 50 f.
30 Vgl. Besand (wie Anm. 14), S. 368.
31 Zit. n. Kalina
32 Kalina, (wie Anm. 28), S. 8. Vgl. auch Besand (wie Anm. 14), S. 368.
33 Ebd.