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Europäische Erinnerungspolitik
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
faschistische sowie kommunistische Regime als gemein-
sames Erbe anerkennt und eine ehrliche und tiefgreifende
Debatte über deren Verbrechen im vergangenen Jahrhun-
dert führt“.
24
Dementsprechend wird in der Entschlie-
ßung unterstrichen, „wie wichtig es ist, das Gedenken
an die Vergangenheit wach zu halten, da es keine Aus-
söhnung ohne Wahrheit und Erinnerung geben kann“,
25
und es wird gefordert, „weitere Bemühungen zu unter-
nehmen, um den Unterricht über europäische Geschichte
zu intensivieren und die historische Errungenschaft der
europäischen Integration sowie den augenfälligen Gegen-
satz zwischen der tragischen Vergangenheit und der fried-
lichen und demokratischen Gesellschaftsordnung in der
heutigen Europäischen Union herauszustellen“;
26
dies im
Glauben, „dass eine angemessene Bewahrung der histo-
rischen Erinnerung, eine umfassende Neubewertung der
europäischen Geschichte und eine europaweite Anerken-
nung aller historischen Aspekte des modernen Europa die
europäische Integration stärken werden“.
27
Damit wurde im Jahre 2009 die bis heute bestim-
mende Position des Europäischen Parlaments bezüglich
der (politischen) Rolle und der konkreten Inhalte eines
europäischen historischen Gedächtnisses konkretisiert –
eine Position, die durch das Projekt eines „Hauses der
europäischen Geschichte“ in Brüssel flankiert wird
28
und
weitgehend mit jener der Kommission
29
und des Rates
übereinstimmt. Dies erlaubt es, zumindest in Ansätzen
von einer „Erinnerungspolitik der Europäischen Union“
zu sprechen.
Ausdruck dieser interinstitutionellen Übereinstimmung
mit Blick auf europäisches historisches Gedächtnis ist nicht
zuletzt das gemeinsam von allen drei Institutionen getra-
gene Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“.
Dieses wurde im Dezember 2006 durch den Beschluss
1904/2006/EG des Europäischen Parlaments und des
24 Ebd., Erwägung K.
25 Ebd., Artikel 3.
26 Ebd., Artikel 9.
27 Ebd., Artikel 10.
28 Die Einrichtung eines „Hauses der europäischen Geschichte“ wurde vom
Europäischen Parlament seit 2007 aktiv vorangetrieben. Die offizielle Er-
öffnung ist für das Spätjahr 2016 vorgesehen.
29 Siehe zum Beispiel den Bericht der Kommission an das Europäische Par-
lament und den Rat von 2010 über „Maßnahmen zum Gedenken an die
Verbrechen totalitärer Regime in Europa“ (COM(2010) 783 endg.). Der
Bericht liefert nicht nur eine klare Zusammenstellung der Agenda der
Kommission zur Förderung historischen Gedächtnisses, sondern auch eine
Übersicht über die Finanzinstrumente, die grundsätzlich für die Erinne-
rung an die totalitären Regime in Europa zur Verfügung stehen.
Rates ins Leben gerufen.
30
Das für den Zeitraum 2007–
2013 angelegte Programm schuf den rechtlichen Rahmen
zur Unterstützung einer breiten Palette von Aktivitäten und
Organisationen, die „aktive europäische Bürgerschaft“ för-
dern. Zu den dezidierten Zielen des Programms zählte „ein
Verständnis für eine europäische Identität [zu] entwickeln,
die auf gemeinsamen Werten, gemeinsamer Geschichte
und gemeinsamer Kultur aufbaut”.
31
Aufgrund seines Erfolgs wurde im April 2014 eine Neu-
auflage des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bür-
ger“ für die Periode 2014–2020 mit einem Gesamtbudget
von knapp 185,5 Mio. EUR beschlossen,
32
das unter ande-
rem eine – nicht zuletzt auch finanzielle – Stärkung der auf
die Schaffung eines „Europäischen Geschichtsbewusstseins“
gerichteten Elemente beinhaltet.
33
Erklärtes Ziel der in die-
sem Bereich finanzierten Projekte ist die „stärkere Sensibi-
lisierung für das Geschichtsbewusstsein, die gemeinsame
Geschichte und gemeinsamen Werte der Union sowie für
das Ziel der Union, den Frieden, die Werte der Union und
das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“.
34
Bei allem erkennbaren politischen Willen jedoch,
ein kollektives historisches Gedächtnis auf europäischer
Ebene nicht nur mit Worten und Absichtserklärungen,
sondern auch konkreten Programminitiativen zu beför-
dern, erweist sich die Politik der Europäischen Union kei-
neswegs konflikt- und spannungsfrei und mit einer Reihe
von Dilemmata konfrontiert. Auf diese und sich daraus
ergebende mögliche Entwicklungsperspektiven wird im
Folgenden eingegangen.
30 „Beschluss Nr. 1904/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 12. Dezember 2006 über das Programm „Europa für Bürgerinnen und
Bürger“ zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (2007–
2013)“, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 378 vom 27.12.2006,
S. 32–40.
31 Ebd., Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b.
32 „Verordnung (EU) Nr. 390/2014 des Rates vom 14. April 2014 über
das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ für den Zeitraum
2014–2020“, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 115 vom 17.04.2014,
S. 3–13.
33 Die mangelnde Mittelausstattung insbesondere von Aktion 4 „Aktive europä-
ische Erinnerung“ war auch bereits eine der Hauptkritikpunkte der Zwischen-
evaluation des Vorgängerprogramms im Jahr 2010 gewesen. Ecory: Interim
Evaluation of the Europe for Citizens Programme 2007-13: Final Report,
Birmingham 2010. Siehe auch den Abschlussbericht über die Wirkung des
Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ (Europäische Kommission,
Generaldirektion Kommunikation: Measuring the impact of the Europe for
Citizens Programme, Brüssel 2013). Neben der finanziellen Dimension zeigt
sich die gewachsene Bedeutung von historischem Gedächtnis im neuen Pro-
gramm auch daran, dass „Europäische Geschichtsbewusstsein“ nun einer
von nur noch zwei – statt früher vier – Programmbereichen ist. Der andere
trägt den Titel „Demokratisches Engagement und Bürgerbeteiligung“.
34 Rat 2014 (wie Anm. 32), Anhang.