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Europäische Erinnerungspolitik
Einsichten und Perspektiven 1 | 16
dass die Behandlung des Zweiten Weltkriegs im Schulun-
terricht in den 25 EU-Ländern mit äußerster historischer
Genauigkeit erfolgt“, und dass „der 27. Januar […] zum
Europäischen Holocaustgedenktag erklärt wird“.
15
Letz-
teres wurde auf internationaler Ebene durch die Resolu-
tion 60/7 der Generalversammlung der Vereinten Nati-
onen vom 1. November 2005 verwirklicht, mit der ein
besonderer Gedenktag für die Opfer des Holocaust ein-
geführt wurde.
16
In den Jahren 2008/2009 arbeitete das Europäische Par-
lament aktiv darauf hin, den Holocaustgedenktag durch
einen Europäischen Tag zum Gedenken an die Opfer des
Stalinismus und des Nationalsozialismus zu ergänzen. Im
Gefolge unter anderem der Resolution 1481 des Europa-
rates betreffend der „Notwendigkeit der internationalen
Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer
Regime“ (25. Januar 2006)
17
forderte die Entschlie-
ßung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009
zum „Gewissen Europas und zum Totalitarismus“,
18
den
23. August – den Tag der Unterzeichnung des Molotow-
Ribbentrop-Pakts im Jahr 1939 – „zum europaweiten
Gedenktag an die Opfer aller totalitären und autoritären
Regime“ zu erklären.
19
In der Entschließung, die die bisher deutlichste Posi-
tionierung des Europäischen Parlaments zur Frage eines
europäischen historischen Gedächtnisses darstellt, wird
eingeräumt, „dass völlig objektive Auslegungen histo-
rischer Tatsachen nicht möglich sind“ und „dass keine
politische Institution und keine Partei ein Monopol für
die Auslegung der Geschichte“ besitzen sollte, weshalb
„offizielle politische Auslegungen historischer Fakten“,
die „durch Mehrheitsbeschlüsse von Parlamenten auf-
15 Ebd., Artikel 5.
16 „Resolution der Generalversammlung zum Gedenken an den Holocaust
(A/RES/60/7)“, 1. November 2005. In der Resolution zum Internationalen
Holocaustgedenktag, der jährlich am 27. Januar zum Gedenken an die
Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die sow-
jetische Armee im Jahr 1945 begangen wird, wurde jedes Mitglied der
Vereinten Nationen dazu aufgefordert, die Erinnerung an den Holocaust
zu fördern, und die Entwicklung eines auf dessen Geschichte zugeschnit-
tenen Bildungsprogramms befürwortet.
17 Siehe
http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/2006-01/Entschl1481_kommunist.asp [Stand: 18.02.2016].
18 „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009 zum Ge-
wissen Europas und zum Totalitarismus, 2. April 2009“, in: Amtsblatt der
Europäischen Union C 137 vom 27.05.2009, S. 25ff.
19 Ebd., Artikel 15. Diese besondere Aufforderung in der Entschließung aus
dem Jahr 2009 folgte auf die „Erklärung des Europäischen Parlaments
zur Ausrufung des 23. August zum Europäischen Gedenktag an die Opfer
von Stalinismus und Nazismus“ vom September 2008. In: Amtsblatt der
Europäischen Union C 8 E vom 14.01.2010, S. 57ff.
gezwungen werden“, Ablehnung finden.
20
Gleichzei-
tig betont das Europäische Parlament jedoch, „dass die
Erinnerung an die tragische Vergangenheit Europas wach
gehalten werden muss, um die Opfer zu ehren, die Täter
zu verurteilen und die Fundamente für eine Aussöh-
nung auf der Grundlage von Wahrheit und Erinnerung
zu legen“,
21
wobei erklärt wird, „dass die dominierende
historische Erfahrung Westeuropas der Nazismus war“,
während „die Länder Mittel- und Osteuropas sowohl den
Kommunismus als auch den Nazismus erfahren haben“.
22
Die Errungenschaften der europäischen Integration nach
dem Krieg werden als direkte Antwort und reale Alterna-
tive für „das Leiden […], das von zwei Weltkriegen und
der Tyrannei des Nationalsozialismus verursacht wurde,
die zum Holocaust sowie zur Ausbreitung totalitärer und
undemokratischer kommunistischer Regime in Mittel-
und Osteuropa führten“, beschrieben.
23
Es wird indes
argumentiert, „dass Europa erst dann vereint sein wird,
wenn es imstande ist, zu einer gemeinsamen Sicht sei-
ner Geschichte zu gelangen, Nazismus, Stalinismus und
20 EP 2009 (wie Anm. 18), Erwägungen A–C.
21 Ebd., Erwägung F.
22 Ebd., Erwägung H.
23 Ebd., Erwägung I.
Der Erste Weltkrieg wurde von dem britischen Diplomaten und Historiker
George Kennan als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Ob
zu Recht oder nicht, so hat diese Deutung der europäischen Geschichte
unzweifelhaft großen Einfluss entfaltet. Das Bild zeigt Truppen der 7. deut-
schen Armee während der Offensive über die Aisne (Soissons – Chemin des
Dames), Ende Mai 1918.
Foto: ullstein Bild