Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 275

Realizing Utopia
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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werden viele Leute dann nicht gleich Veganer. Aber viele
haben dann Ökologie, Umweltschutz und Ernährung
zum erstenMal in einen Zusammenhang gebracht. Ich ha-
be ja auch nur dank anderer Menschen von Möglichkei-
ten erfahren, anders zu leben. Jeder sucht sich das raus,
was er oder sie kann und wo man sich am meisten ange-
sprochen fühlt: ob das Foodsharing ist oder Recycling
oder Reparieren oder weniger zu fliegen.
Landeszentrale:
Welche Rolle übernehmen Politik und
Bildung bei deinem Vorhaben?
Fellmer:
Ich freue mich über jeden Lehrer oder Politiker,
der darüber spricht. Wir brauchen ganz dringend neue
Themen in den Schulen. Klar ist es wichtig, Biologie zu
lernen. Aber es ist auch wichtig, mehr über den Klima-
wandel zu lernen oder zumBeispiel über verschiedene Er-
nährungsweisen zu sprechen. Deswegen ist es toll, wenn
einDirektor oder Lehrer sagt, dass imUnterricht über Er-
nährung gesprochen werden muss. Ich denke, der Wandel
kommt von den einzelnen Lehrern, einzelnenMitgliedern
der Gesellschaft. Ich glaube nicht an den großen Schritt
und die große Reform, die alles umwirft. Es sind wirklich
diese Graswurzelbewegungen, die immer mehr werden,
sich verknüpfen und dannwachsen. Ich glaube auch nicht,
dass wir eine Revolution brauchen. Man kann auf die Stra-
ße gehen, demonstrieren, das ist auch wichtig. Aber das
tägliche Leben, das ist die wirkliche Demonstration. An-
dere Menschen an einem nachhaltigen Lebensstil teilha-
ben lassen, indem man es einfach nur tut. Im Sinne eines
Wandels ist das nachhaltiger, als eine Fahne zu schwen-
ken.
Landeszentrale:
Was ist dein Plan für die Zukunft und
der für Foodsharing?
Fellmer:
Meine Zukunft steht natürlich im Zusammen-
hang mit der Zukunft der Welt: dass wir hier in Frieden
miteinander leben und uns helfen, uns einbringen mit all
unseren Fähigkeiten und als Team zusammenwirken. Wir
sind eine Familie und müssen erkennen, dass die Summe
aller Teile ein Ganzes ist. Als Familie möchten wir zu-
sammen mit anderen Familien ein Ökodorf im Süden
Europas gründen.
„Stop crying!“
Die Bewohner der Wohngemeinschaft von Kati (27), Vere-
na (29) und Stefan (26) im Münchner Osten ernähren sich
ebenfalls von „geretteten“ Lebensmitteln, das heißt solchen,
die eigentlich in der Mülltonne gelandet wären. Im Sommer
haben sie eine Aktion im Englischen Garten gestartet, bei
der sie „gerettete“ Lebensmittel verteilt haben, um auf die
Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Auch
sonst haben die drei ihren Konsum stark eingeschränkt:
„Wir brauchen ja nicht viel. Ich will keine Sachen kaufen,
unter deren Produktion andere Menschen leiden müssen.
Und wenn man einmal anfängt, sich richtig zu informieren,
findet man leider heraus, dass das ziemlich viele Sachen sind.
Wenn man sich über Zusammenhänge bewusst wird, merkt
man, wie schwierig es ist, konsequent, verantwortungsbe-
wusst und wirklich nachhaltig zu leben“, sagt Kati. Ist es
nicht anstrengend, so ein idealistisches Leben zu führen?
„Wir wollen ja trotzdem Spaß haben. Manchmal denke ich
mir dann auch: Du tust, was du kannst, und das muss auch
mal genug sein. Aber zu sagen, es geht mich nichts an, ist
einfach keine Option mehr. Wir versuchen dann eben, nur
Dinge zu kaufen, die man wirklich braucht“, so Verena.
Und was wäre das? „Klopapier.“ „Und manchmal Schoko-
kekse“, ergänzt Kati. Auf die Frage, ob sie sich nie Luxus
leisten, ruft Kati: „Wir haben doch Luxus! Wir haben das
umdefiniert. Es geht doch darum, glücklich zu sein. Und für
uns kommt das eben nicht durch Besitz.“
Verena hat zum Beispiel im letzten Jahr ganz bewusst keine
Kleidung gekauft. „Irgendwann kamen dann die Leute an
und meinten: ‚Hier, nimm das von mir, das brauch ich nicht
mehr.‘ Es ist schon interessant, zu sehen, wie das eigene Ver-
halten die Wahrnehmung der Leute verändert.“
Im „Idealistischen Salon“ geht darum, sich ge-
meinsam über Themen zu informieren, die über das, was
man aus den Medien und in der Schule bzw. Universität er-
fährt, hinausgehen. Zunächst war das Ganze für sie selbst
und Freunde geplant. Aus dem ersten Filmabend, an dem
„Garbage Warrior“ (ein Film über den Architekten Micha-
el Reynolds, in dessen „Earthships“ genannten autarken
Verena Hammes und Katrin Landsiedel in ihrem Wohnzimmer,
in dem der erste „Idealistische Salon“ stattfand
Foto: privat
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