Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 266

Der „Palast des Parlaments
Serbiens“
Foto: Alexander Wulffius
ter Weg“ zwischen Sowjetkommunismus und dem Westen
zeitigte jedoch auch, getragen von wirtschaftlichem Auf-
schwung, gerade in Belgrad kulturelle Öffnung und
Modernisierung. Westliche Mode und Reklametafeln von
Coca-Cola bis Siemens gehörten in den 60er-Jahren zum
Erscheinungsbild der Innenstadt – während am Stadtrand
auf ungepflasterten Straßen noch Pferdekarren und umher-
laufende Hühner zu sehen waren.
31
Der Film wurde zum
populärsten Unterhaltungsmedium, Kinos zeigten interna-
tionale Produktionen. 1965 eröffnete das Museum für zeit-
genössische Kunst – der avantgardistische Bau von Ivan An-
tic
´
beeindruckt noch heute.
Kurz: Die Metropole Belgrad, die im Jahr 1969 die
Zahl von einer Million Einwohner überschritt, war das
Symbol des neuen Jugoslawien. Im neu angelegten Stadt-
viertel Novi Beograd („Neu-Belgrad“) entstanden Prestige-
bauten, die von Weltoffenheit und Fortschritt künden soll-
ten. Unter ihnen sticht das Westliche Stadttor hervor. 1977
im Stil des Brutalismus von Mihailo Mitrovic
´
32
– seit 1999
Präsident der Architektur-Akademie Serbiens – erbaut,
prangt heute auf demDach das Logo von Zepter – einer Un-
ternehmensgruppe, die unter anderemHaushaltswaren und
Kosmetik im Stil der Tupperware-Partys vertreibt. Ihr
Gründer ist einer der reichsten Serben. In den 1980er-Jah-
ren verkaufte er als Milan Jankovic¤ in Linz Kochtöpfe, heu-
te residiert er als Philip Zepter in einer historischen Villa in
Monaco, wo er zu den Sponsoren des dortigen Formel-1-
Rennens zählt. Über die Begleitumstände dieser Erfolgs-
story gibt es unterschiedliche Versionen.
33
31 Ebd., S. 210.
32 Vgl.
/ [Stand: 16. November 2013].
33 Das österreichische Magazin „Profil“ berichtete 2004 von Geldwäsche und Verbindungen zur Umgebung von Slobodan Miloševic
´
(vgl.
[Stand: 16. November 2013]).
34 Calic (wie Anm. 9), S. 264.
35 Sundhaussen (wie Anm. 9).
Synekdoche, Balkan
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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Zum Begräbnis Titos in Belgrad im Jahr 1980 kamen Dele-
gationen aus 128 Nationen. „Nie zuvor erfuhr der Vielvöl-
kerstaat so viel internationale Anerkennung und Aufmerk-
samkeit.“
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Obgleich nicht der eigentliche Grund, markiert
der Tod Titos dennoch den Anfang vomEnde Jugoslawiens.
Vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise ver-
lor das System an Bindekraft und Legitimation. Nun setzte
auch die „ethnonationale Mobilisierung“
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ein, die für den
blutigen Verlauf des Zerfalls Jugoslawiens verantwortlich
sein sollte.
Am zweiten Abend in Belgrad wollen wir eine Al-
ternative zu unserem Folkloreviertel ausprobieren. Belgrad
ist, längst kein Geheimtipp mehr, zur Partymetropole und
damit auch zu einem Reiseziel für junge Menschen aus ganz
Europa geworden. Vor allem kommen auch Besucher aus
demübrigen ehemaligen Jugoslawien, aus Ljubljana, Zagreb
oder Skopje, einfach weil in Belgrad am meisten los ist. Das
Nachtleben ist heute ein Stolz der Stadt. Im Hotel, in der
Touristeninformation oder im Museum, stets hören wir die
Frage: “
Have you been to the clubs?”
Dabei ist nachts auch außerhalb der Discos eine
Menge los. Die Straßen rund um den Platz der Republik
sind um Mitternacht voller Menschen, ebenso die Restau-
rantterrassen. Hier sitzen auch Familien spätabends noch
beim Essen. In den Clubs geht es entsprechend spät los.
Wenn man es nicht bis zu den halblegalen und fastgeheimen
Adressen schafft, hat man im Zentrum trotzdem kein Pro-
blemmit mangelnder Auswahl. In der
Strahinica Bana
reiht
sich Lokal an Lokal. Der bezeichnende Spottname der Stra-
209...,256,257,258,259,260,261,262,263,264,265 267,268,269,270,271,272,273,274,275,276,...284
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