Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 276

12 Das Wort stammt von der Plattform und Organisation WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms), die Menschen zum Frei-
willigendienst an Bauernhöfen und ökologischen Farmen vermittelt.
Häusern neben Lehm und Holz auch Abfallprodukte wie
gebrauchte Autoreifen, Aluminiumdosen oder Flaschen
verbaut werden) gezeigt wurde, entstand dann bereits eine
sehr angeregte Diskussion. So kamdie Idee, nochmehr Leu-
te einzuladen und sich in einer größeren Gruppe auszutau-
schen. Das Interesse war groß: Bereits beim nächsten Salon
waren es knapp 20, mittlerweile kommen regelmäßig umdie
30 Leute zu den Treffen. Neben den Filmabenden gibt es
Vorträge zu bestimmten Themen, zuletzt zu Selbstversor-
gung, Permakultur und Ökodörfern (s. unten). Die Refe-
renten kommen meistens aus dem Freundes- und Bekann-
tenkreis. Auch Stefan und Kati sprechen von ihren
Erfahrungen in Ökodörfern in Osteuropa, wo sie als
„Wwoofer“
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unterwegs waren, das heißt Freiwillige, die
gegen Gartenarbeit o. Ä. Kost und Logis unentgeltlich ge-
stellt bekommen. Gesprochen wird z. B. auch über den Ge-
meinschaftsgarten und gemeinnützigen Verein „O’pflanzt
is!“. Der Garten befindet sich direkt im Herzen Münchens
am Leonrodplatz. Ziel ist es, gemeinschaftlich und nach
Prinzipien der Permakultur (s. unten) zu gärtnern. Das
Prinzip des urbanen Gärtnerns erfreut sich immer größerer
Beliebtheit: „Die Menschen finden es toll, wieder einen Be-
zug zu dem herzustellen, was auf ihren Tellern landet. Es ist
einfach etwas Neues, und es macht Spaß!“, sagt die Initia-
torin des Vereins und Sozialpädagogin Vanessa Blind.
Der „Idealistische Salon“ ist nicht nur Infoplatt-
form, sondern auch Austauschforum und Networking-
Möglichkeit für die Münchner, die auf der Suche nach
Gleichgesinnten sind und etwas in der Gesellschaft bewe-
gen wollen.
Woher kommen der Zuwachs und das Interesse an
dem Salon? „Zeitgeist“, antwortet Kati schlicht. „Viele
Menschen sind unzufrieden und suchen Alternativen. Viele
denken, sie sind ganz allein mit ihren Gedanken über Al-
ternativen zu dem hektischen, unpersönlichen und kon-
sumgeprägten Leben, das wir und alle um uns herum füh-
ren. Deswegen kommen sie zu uns, sind voller Ideen und
Tatendrang. Es ist schön zu sehen, dass wir Leute so pro-
duktiv zusammenbringen können.“
Es geht ihnen zum einen darum, ihr Fachwissen zu
vertiefen. Vor allem aber wollen sie mit diesem Wissen et-
was machen: Lösungen hören, selbst entwickeln und Pro-
bleme aktiv angehen. Auf längere Sicht soll es deshalb noch
mehr Aktionen geben wie die im Englischen Garten, und
auch innerhalb des Salons sollen Arbeitsgruppen gegründet
werden, die sich dann intensiv für bestimmte Themen en-
gagieren und Aufmerksamkeit erregen. „Wir können nicht
die Weltordnung ändern, aber trotzdem darüber hinausge-
hen, dass jeder nur für sich selbst etwas macht. Dann spürt
Realizing Utopia
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man auch seine Macht als Verbraucher“.
Aus soziologischer Sicht ist es wichtig zu analysieren, wo-
her so eine starke Motivation kommt bzw. wodurch der Be-
wusstseinswandel, den Kati und Verena erlebt haben, aus-
gelöst wird. „Es gab keinen Schlüsselmoment, denke ich.
Ich hatte aber immer schon ein sehr ausgeprägtes Gerech-
tigkeitsempfinden. Ich habe immer alles hinterfragt. Und je
mehr ich dann erfahren habe, umso ungerechter fand ich al-
les, und umso mehr habe ich mich weiter informiert.“ „Bei
mir kam das zunächst über die Bindung zur Natur“, erzählt
Verena, „irgendwann kann man das nicht mehr trennen,
ökologische und politische Motivation. Ich habe im Laufe
der Zeit verstanden, dass ich nicht einfach ein paar Frösche
retten kann, und damit ist es getan. Auch meine Eltern ha-
ben mir früh klargemacht, dass Schokolade essen ein Luxus
ist, unter dem andere Menschen leiden müssen. Sie haben
mir nichts verboten, aber mit wachsendemBewusstsein ver-
lor ich einfach die Lust, solche Güter zu konsumieren.“ Bei-
de sagen, dass es sehr wichtig ist, mit Leuten zusammen zu
sein, die ähnliche Interessen haben und einen auf Missstän-
de und Probleme aufmerksam machen. Das ist der beste
Nährboden für gute Ideen und Inspiration.
Ob sie sich selbst als alternative Bewegung be-
zeichnen würden? „Als alternativ schon. Aber wir sind nicht
die Bewegung, sondern wir gehören zu einer Bewegung“,
sagt Verena. „Aber wenn ich hier in der WG bin oder im Sa-
lon, dann komme ich mir gar nicht mehr so alternativ oder
verschroben vor“, ergänzt Kati, „man hat dann eher das Ge-
fühl, dass man genau das Richtige tut.“ Es kommt eben im-
mer auf den Blickwinkel an. Und sie erfahren viel Anerken-
nung für das, was sie tun. „Ich denke, wir sind schon auf dem
Weg zur Mitte der Gesellschaft.“ Ihnen ist wichtig, dass sie
sich nicht ausgrenzen, keine „Sekte“ gründen, sondern of-
fenbleiben für andere Ansichten. Die drei geißeln sich selbst
und andere nicht mit ihrem Idealismus. Es ist nicht zielfüh-
rend, eine Grenze zu ziehen zwischen gut und böse, richtig
und falsch, sich und andere demonstrativ auf einer dieser Sei-
ten zu positionieren. Das haben die drei erkannt. Sie wollen
andere mit ihrem Optimismus und ihrem Tatendrang an-
stecken, nicht mit schlechter Laune und Moralisierung oder
„Schwarzmalerei“ vergraulen Beim Salon ist immer das
„Stop crying“-Schild dabei. Das soll darauf hinweisen, dass
nicht gejammert und sich beschwert werden soll, denn „es
soll Spaß machen, etwas zu verbessern, und einen nicht runt-
erziehen“, erklärt Kati. Idealistisch zu sein hat für sie einen
Mehrwert im Leben. „Es ist viel besser, positiv in die Welt
zu gucken. Wir glauben daran, dass sie besser werden kann.“
Nachhaltigkeitsthemen sollten ihrer Meinung nach auch in
den Schulen viel stärker zur Sprache kommen. Es ist wich-
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