Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 263

Synekdoche, Balkan
Einsichten und Perspektiven 4 | 13
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19 Vgl. Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1993.
20 Hösch (wie Anm. 1), S. 44 f.
21 Hösch (wie Anm. 19), S. 110.
22 Auf seinem Denkmal auf dem Münchner Promenadeplatz heißt Max Emanuel entsprechend „Churfürst von Bayern, Belgrad’s Eroberer“.
kämpfte Stadt. Keltische Skordisker, Römer, Hunnen, Go-
ten, Byzantiner – schon auf dem Weg von der Antike ins
Mittelalter wechselten die Herren auf dem Festungshügel
viele Male. Mit der slawischen Landnahme des 7. Jahrhun-
derts entstand der heutige Name, der so viel wie „weiße
Burg“ oder „weiße Stadt“ bedeutet und wohl mit den hel-
len Kalksteinen der Befestigung zusammenhängt.
Im Mittelalter stritten zunächst Byzanz, Ungarn
und das Bulgarische Reich um Belgrad, bevor die Stadt seit
dem 13. Jahrhundert von serbischen Herrschern regiert
wurde. Ihr Aufschwung steht imZusammenhangmit der le-
gendären Schlacht auf dem Amselfeld (
„kosovo polje“
). Am
15. Juni des julianischen Kalenders – dem berühmten St.-
Veits-Tag – des Jahres 1389 stellte sich der serbische Fürst
Lazar mit seinen Verbündeten dem osmanischen Heer un-
ter Führung von Sultan Murad im Gebiet des heutigen Ko-
sovo. Der türkische Herrscher wurde in der Schlacht vom
legendenhaften serbischen Helden Miloš Obilic¨ getötet,
Lazar geriet in Gefangenschaft – die Überlieferung macht
dafür den Verrat eines serbischen Adligen namens Vuk
Brankovic¨ verantwortlich – und wurde hingerichtet.
19
Sein
Sohn undNachfolger Stefan Lazarevic¨ kämpfte dann als Va-
sall auf der Seite der Türken – wie andere christliche Fürs-
ten während der osmanischen Expansion auf der Balkan-
halbinsel, deren Deutung als religiöser
„clash of civiliza-
tions“
schon aus diesem Grund hinkt.
20
Die Schlacht auf
dem Amselfeld war nur eine – wenn auch besonders aufse-
henerregende – unter mehreren Episoden der Abwehr-
kämpfe mittelalterlicher Balkanreiche gegen die osmanische
Eroberung. Im serbischen Nationalmythos erhielt sie den
Nimbus einer heroischen Märtyrerlegende um die Themen
Verrat und Heldenmut, die bis in die Gegenwart politisch
aufgeladenwird, insbesondere natürlich in der Kosovo-Fra-
ge. Nach der Schlacht auf demAmselfeld verlagerte sich un-
ter Lazarevi
´
c’ Herrschaft das serbische Kernland nach Nor-
den, und Belgrad wurde zum ersten Mal Residenzstadt – ei-
ne Zeit kultureller und städtebaulicher Blüte.
1456 scheiterte noch eine Belagerung der Türken,
1521 wurde Belgrad unter Sultan Süleyman I. erobert – für
das Osmanische Reich ein wichtiger Schritt für die weitere
Expansion nach Westen. Zahlreiche Moscheen und osmani-
sche Profanbauten prägten in der Folge das Stadtbild. Nach
der gescheiterten Belagerung Wiens im Jahr 1683 geriet das
Osmanische Reich in die Defensive, und Belgrad wurde zur
Frontstadt im Ringen der beiden frühneuzeitlichen multi-
nationalen Imperien in Europa. Gleich mehrere Feldherren
des „heroischen Zeitalters der Türkenkämpfe“
21
sicherten
sich bleibenden Nachruhm als christliche Eroberer Bel-
grads, darunter der bayerische Kurfürst Max Emanuel, un-
ter dessen Kommando die Stadt 1688 eingenommen wur-
de.
22
Die Türken eroberten die Stadt jeweils wenige Jahre
später zurück. Auch als Belgrad nach den beiden Serbischen
Revolutionen im Jahr 1815 Teil des neu entstandenen Fürs-
tentums Serbien wurde, blieben die Osmanen vorerst die
Herren auf demFestungshügel. Erst 1867 verließen die Tür-
Von der Festung Kalemegdan
blickt man auf den Zusam-
menfluss von Donau und
Save. Am Save-Ufer liegen
die schwimmenden Restau-
rants und Discos, dahinter er-
heben sich die Hochhäuser
von Novi Beograd, darunter
der Genex Tower, das „West-
liche Stadttor“.
Foto: Alexander Wulffius
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