2.4 / 8. – 10. Jahrgangsstufe: Positives Denken – Jeder ist seines Glückes Schmied
33
kleinsten Formen von Verhaltensverände-
rung ist (z. B. immer abends die Schul-
tasche packen; morgens rechtzeitig das
Haus verlassen, um nicht zum Bus hetzen
zu müssen; …).
Echte Gefahren des P
OSITIVEN
D
ENKENS
liegen darin, dass es das, womit Menschen
in modernen Zeiten ohnehin kämpfen, z. T.
bis ins Unmenschliche verschärft. Die Ver-
antwortung für Gesundheit, Glück, Erfolg
wird nun gänzlich in die Hand des Einzel-
nen gelegt. Nachdem einige Protagonisten
des P
OSITIVEN
D
ENKENS
sichere und große
Erfolge versprechen, muss derjenige, bei
dem sich der gewünschte Erfolg nicht ein-
stellt, selbst schuld sein. Und so finden sich
bei Psychologen, Therapeuten und Seel-
sorgern eine ganze Reihe an Menschen
ein, die erst – oder erst recht – durch das
P
OSITIVE
D
ENKEN
in Enttäuschungen,
Frustrationen, Versagens- und Schuldge-
fühle hineingeraten sind. Leider muss häu-
fig beobachtet werden, dass je größer und
unrealistischer die Hoffnungen und Wün-
sche sind, desto größer ist auch die Ent-
täuschung. Und je stärker man sich auf ein
bestimmtes Ziel fixiert, desto höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass es nicht realisiert
wird – weil man sich z. B. verkrampft, und
so hinter seinen tatsächlichen Möglichkei-
ten zurückbleibt. Notwendige Auseinander-
setzungen mit sich selbst oder mit anderen
werden aufgrund des propagierten Ziels
Harmonie
(oder anderer Ziele) nicht ausge-
tragen. Menschen bleiben in für sie unhalt-
baren familiären oder beruflichen Zustän-
den. Psychische oder physische Krankhei-
ten bleiben lange Zeit unbehandelt. Die
Übersteigerung der eigenen Möglichkeiten
und die Ausblendung der Realität mit ihren
Problemen können bis zum Realitätsverlust
führen. Immer wieder geraten Menschen in
finanzielle Not, weil sie ihre persönlichen
oder situationsbedingten Grenzen missach-
ten und sich beruflich und finanziell über-
schätzen. Schließlich kann die Übersteige-
rung des eigenen Ich, der eigenen Fähig-
keiten oder Wünsche zu schweren Konflik-
ten im sozialen Umfeld führen. (Wer erträgt
es schon, mit jemanden befreundet zu
sein, der von sich meint, er sei der Größte,
werde alles erreichen und das Leben richte
sich alleine nach seinen Wünschen?) (Vgl.
Scheich 1997: S. 91–102).
Kritik am P
OSITIVEN
D
ENKEN
widerspricht
nicht einer optimistischen Lebensein-
stellung
Selbstverständlich ist mit dieser Kritik am
P
OSITIVEN
D
ENKEN
nicht eine Kritik an einer
optimistischen Lebenseinstellung über-
haupt gemeint. Damit Menschen Ziele ver-
folgen, sich weiter entwickeln, sich etwas
zutrauen, ist auch ein gewisses Maß an
optimistischer Lebenseinstellung notwen-
dig. Wer würde je sonst etwas tun oder
etwas Neues ausprobieren? Wie viel an
Optimismus ein gelungener Lebensvollzug
benötigt, ist dabei jedoch eine sehr offene
Frage. Ein Zuviel an blindem Optimismus
kann gefährlich werden. Produktiv ist Opti-
mismus dann, wenn er auf den Einzelnen,
seine Möglichkeiten und seine Fähigkeiten
bezogen bleibt, also der Situation ange-
messen und realistisch ist (vgl. Scheich
1997: S. 19 f.). Die Kritik am P
OSITIVEN
D
ENKEN
betrifft jenen blinden, überzogenen
Optimismus, welcher auf der Grundlage
einer
positiven (Um)Programmierung v
on
Gedanken verspricht, das Leben in all sei-
nen Aspekten zum Besseren zu führen.
Zu solch einfachen Botschaften sollen die
Schülerinnen und Schüler mit Hilfe dieser
Unterrichtseinheit Distanz gewinnen.
Zwischen einfachen Botschaften und
seriöser Therapie unterscheiden
Auch Ärzte, Psychologen und Therapeuten
geben manchmal einfache Handlungsopti-
onen an die Hand. Diese sind von den ein-
fachen Handlungsanweisungen von Moti-
vations- und Persönlichkeitstrainern und
Protagonisten des P
OSITIVEN
D
ENKENS
zu
unterscheiden. In einer professionellen
Herangehensweise sind solche einfachen
Handlungsanweisungen in ein umfassen-
des Therapiekonzept eingebunden. Im
Grundsatz gilt: Therapeutische Anregun-
gen gehören in die Hand von nachvollzieh-
bar qualifiziertem Fachpersonal und kön-
nen auch wissenschaftlich begründet und
belegt werden.