2.4 / 8. – 10. Jahrgangsstufe: Positives Denken – Jeder ist seines Glückes Schmied
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holen, die viel komplexer und subjektiv
situationsbezogener betrachtet werden
muss, als dass Sprichwörter und Redens-
arten es tun können. Dass sich für jeden
Wirklichkeit unterschiedlich darstellt, kann
mit Schülern in einer kleinen Übung aus-
probiert werden, indem man sie bittet, sich
etwas Konkretes vorzustellen (z. B. ein
Erdbeereis
) und dann die Vorstellungen
miteinander zu vergleichen.
Vereinfachung der komplexen Wirklich-
keit
Vor allem Sprichwörter mit handlungslei-
tendem Hintergrund sind durchaus ambiva-
lent zu betrachten. Einerseits lässt sich aus
ihnen sicherlich eine gewisse Lebensweis-
heit ableiten, andererseits neigen sie dazu,
die Komplexität von Wirklichkeit zu verein-
fachen. Leider ist in Zeiten von Globalisie-
rung und Finanzkrise das Glück nicht im-
mer mit dem Tüchtigen und „Jeder ist sei-
nes Glückes Schmied“ kann angesichts
vielfältiger gesellschaftlicher und wirtschaft-
licher Herausforderungen nur bedingt ein-
gelöst werden. Jeder weiß, dass es, um ein
gelungenes Leben zu führen, viele Fakto-
ren braucht – und hier ist die Selbstverant-
wortung zwar ein wichtiger Faktor, aber nur
einer.
Das P
OSITIVE
D
ENKEN
, der zentrale Inhalt
dieser Unterrichtseinheit, reduziert mit ei-
ner einfachen Methode und einfachen Bot-
schaften Wirklichkeit sträflich. Mit vermeint-
lichen Alltagsweisheiten vertraut, trauen
viele Menschen auch anderen einfachen
Botschaften und scheitern – langfristig –
damit, wenn sie sich zu sehr darauf einlas-
sen, d. h. solche Alltagsweisheiten ohne
Rekurs auf die individuelle Wirklichkeit ver-
absolutieren. Drei Fallbeispiele sollen in
der folgenden Unterrichtseinheit auf die
Gefahren des P
OSITIVEN
D
ENKENS
auf-
merksam machen.
P
OSITIVES
D
ENKEN
: schöpferische Kraft
des Denkens?
Das P
OSITIVE
D
ENKEN
hat seine Wurzeln in
der esoterischen
Neugeist-Bewegung
(
New
Thought Movement
) der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts. Wesentlicher Inhalt die-
ser Bewegung, der dann auch in das Ge-
dankengut des P
OSITIVEN
D
ENKENS
einge-
flossen ist, ist die Vorstellung, dass der
Gedanke eine schöpferische Kraft hat, die
die reale Wirklichkeit verändern kann. Posi-
tive Gedanken ziehen demnach auch Posi-
tives nach sich, negative Gedanken Nega-
tives. Jeder Mensch habe außerdem das
Recht auf Wohlstand, Gesundheit und
Glück.
„Kern des Positiven Denkens ist die Idee,
dass Gedanken Macht über die Dinge ha-
ben und dass sich das, was der Mensch
sich zum Guten und zum Bösen vorstellt, in
der Praxis verwirklicht. Daher zielt das Po-
sitive Denken auf die Kontrolle von Be-
wusstseinsinhalten.“ (Hemminger 2005a:
S. 134). Dabei verspricht die Methode des
P
OSITIVEN
D
ENKENS
Einfluss auf alle
menschlichen Lebensbereiche. Mit positi-
ven Gedanken sei Heilung und Gesundheit
ebenso (schnell und nahezu mühelos) zu
erreichen wie Erfolg und Reichtum, Har-
monie und gelungene Beziehungen u. v. m.
Wesentliche Grundmuster des P
OSITIVEN
D
ENKENS
sind:
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Autosuggestion (ich bin erfolgreich,
stark, schön, reich, der/die Größte,
…)
Verdrängung
von
Problemen
und/oder Misserfolgen
(partielle) Ausblendung der Realität
(Reduzierung auf die Wahrneh-
mung des Positiven im Leben; das
So-tun-als-ob: als ob es keine Prob-
leme gäbe, als ob man glücklich
wäre, …)
Vermeidung von Auseinandersetzung
(vgl. Scheich 1997: S. 107–111).
Namhafte Wegbereiter und Autoren des
P
OSITIVEN
D
ENKENS
sind:
Napoleon Hill
(1883–1970), Jurist, Redak-
teur, Herausgeber, Schriftsteller
Publikationen (in Auswahl)
The Law of Success
(
Das Gesetz
des Erfolges
)
The Ladder to Success
(
Die Leiter
zum Erfolg
)
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Dabei muss durchaus zugestanden werden, dass
unterschiedliche Autoren diesen Grundmustern in
unterschiedlicher Ausprägung folgen.