aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 32

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aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
Colloquium
Echtes ist wieder gefragt
Illustrieren im digitalen Zeitalter
Gezeichnete Illustrationen galten lange als unzeitgemäß. Das
zeichnerische Handwerk schien von der digitalen Technik
verdrängt zu werden. Heute ist die individuelle Handschrift
wieder gefragt. In Zeitungen und Zeitschriften, in Werbung
und gerade im digitalen Feld erobert die Zeichnung wieder
Bildfläche zurück. Die beruflichen Anforderungen der Illus-
tratorinnen und Illustratoren wandeln sich ständig, weil die
digitale Entwicklung laufend neue, herausfordernde Mög-
lichkeiten bietet. Gleichzeitig wächst das Selbstbewusstsein
eines Berufsstandes. aviso hat Illustratorinnen und Illustra-
tionen nach ihrer Sicht der Dinge befragt.
»Die Linie ist ein Punkt, der spazieren geht«. So poetisch hat
Paul Klee erklärt, was die Zeichnung leistet. Der Spaziergang
ist eine Form des Gehens, bei der das Beschreiten des Weges
entscheidend ist. So schreitend wird der Kopf frei, werden die
Sinne geschärft. Entdeckungen liegen am Wegesrand. Zeich-
nen bringt die physischen und psychischen Ebenen künstleri-
schen Schaffens in Einklang. Und es lässt sich Erstaunliches
beobachten: Trotz moderner Technik lassen sich junge Men-
schen für die Langsamkeit einfacher Arbeitsweisen begeis-
tern und viele, zunächst am Computer konzipierte Entwürfe
erhalten durch den Umweg über die Skizze zusätzliche Tiefe.
Wünschenswert ist der Erhalt des Raumes für freies Arbeiten.
Mit Klee gesprochen: »Nulla dies sine linea«.
Mike Loos,
Professor für Visuelle Kommunikation/Bildgestal-
tung/Comic/Illustration an der Hochschule Augsburg,
Fakultät für Gestaltung;
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Wir erleben im Augenblick eine ungeheure Renaissance
des Zeichnens. Echtes ist wieder gefragt. Die Möglichkeiten
der Bildbearbeitung haben die Glaubwürdigkeit von Fotos
beschädigt. Die Subjektivität und Intimität des Zeichneri-
schen machen das Medium paradoxerweise authentischer
als das Foto oder das gegoogelte Bild. Der Zeichner steht für
seine Zeichnung ein, er ist der Garant für die Authentizität
des Bildes. Das bedeutet, dass die Zeichnung auch doku-
mentarisch wieder mehr an Relevanz gewinnt. Google bietet
uns einen Pool aus Bildern an, die von allen benutzt werden.
Statt unseren Blick durch die hierarchische Gliederung der
Suchmaschinen trichterförmig zu verengen, öffnet uns das
Medium Zeichnung neue, größere Räume in der Innen- und
in der Außenwelt. Die Zeichnung erschließt Fantasie und
Wissen, und sie ist eines der wenigen künstlerischen Gebiete,
in denen man vor Ort Motive aus erster Hand erlebt. Indem
wir Dinge zeichnen, reflektieren wir Wirklichkeit neu. Zeich-
nen erweitert den Blick und die eigene Welt.
Felix Scheinberger,
Professor für Zeichnen und Illustration
an der Fachhochschule Münster, Fachbereich Design.
Die Kunst des Zeichnens ist von der digitalen Technik nie
bedroht worden. Der Computer ist lediglich ein neues Werk-
zeug, wie einst die Kamera oder der Bleistift. Nach wie vor
muss man das Zeichnen erlernen, denn der Computer nimmt
einem die Arbeit nicht ab. Der geleckte, digitale Look war vor
etwa 10-15 Jahren neu und daher bei den Kunden sehr beliebt.
Die Entwicklung der Technik erlaubt jetzt auch, digital Bilder
zu gestalten, die wie analog gezeichnet aussehen. Dabei pro-
fitieren die analoge und digitale Technik sogar voneinander
und der Illustrator hat heute mehr Möglichkeiten als je
zuvor. Letztendlich ist für den Betrachter der Stil der Illustra-
tion entscheidend, nicht die Art der Entstehung.
Jan Philipp Schwarz,
Illustrator in München,
Zeichnen bedeutet für mich Ausdruck meiner Individualität
und ermöglicht mir, mit geringstenMitteln eine eigene Welt zu
erschaffen. Zeichnung ist Kommunikation in der ursprüng-
lichsten Form und Kulturgut, es wurden Götterbilder, Über-
lebensstrategien, technische Konstruktionen, Stammbäume
von ganzen Sippen, Trachten, Brauchtum und Riten für kom-
mende Generationen festgehalten. Die frühen Forscher hatten
Zeichner dabei – lange, bevor die Fotografie erfunden wurde.
In den letzten Jahren, nachdem das Foto inflationär gewor-
den ist, bekommt die Zeichnung in Editorial und Werbung
wieder mehr Aufmerksamkeit, weil die Menschen sich nach
individuellem Ausdruck sehnen.
Julia Pfaller,
Illustratorin in München,
In meiner Praxis als Illustrator stehen die analogen und
digitalen Techniken nicht im Widerspruch. Ich wende beide
oft im Mix an, da das zu einer anderen, spannenden Anmu-
tung der Illustration führt. Obwohl ich von der »klassischen«
Zeichnung komme, gehören die digitalen Medien zu meinen
Texte und Illustrationen der
Profis
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