aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 16

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aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
Colloquium
Text:
Raimund Wünsche
Götter, Kaiser
Zeichnen in der Glyptothek
Vor genau 40 Jahren
startete die Glyptothek die
Aktion »Sehen – Zeichnen«. Die Museumsbesu-
cher wurden angeregt, selbst zum Stift zu greifen
und sich im Zeichnen zu versuchen. Alle notwendi-
gen Utensilien wie Papier, Stift, Radiergummi usf.
wurden von zwei einschlägigen Herstellerfirmen
gespendet. Das Museum stellte spezielle Unterla-
gen zumZeichnen zur Verfügung. Die notwendigen
Klapphocker gab es ohnehin schon. Die Idee, Anti-
ken zu zeichnen, zündete. Wer sich nicht genierte,
dessen ›Werke‹ stellten wir aus: Ganz werkstatt­
mäßig wurden die Zeichnungen mit Reißzwecken
auf große Tafelbretter geheftet, die, auf einfache
Staffeleien gestellt, in der Nähe der Antiken stan-
den. Das Ausstellen der Zeichnungen sollte weniger
der Bestätigung ›künstlerischer‹ Leistungen dienen,
sondern vor allem die ›Schüchternen‹ anregen, es
auch zu versuchen. Da sich anfangs auch manche
Künstler bzw. Hobbykünstler von dieser Aktion
angesprochen fühlten, wurden bewusst nicht nur
deren, sondern vor allem auch Zeichnungen abso-
luter Dilettanten ausgestellt. Deshalb trauten sich
bald auch andere, im Zeichnen völlig Ungeübte,
nach der Devise: »Das kann ich auch«, den Stift zu
ergreifen. Und so konnten wir immer wieder neue
Blätter an die Tafeln pinnen und so jede Woche die
Ausstellung komplett auswechseln. Während all
dies vielen Besuchern gefiel und auch die Medien
begeisterte, musste ich, der Initiator dieser Aktion,
von den ›seriösen‹ Fachkollegen Kritik einstecken.
Manche sprachen von einer »Entweihung« der
Glyptothek.
Respektlose Kunstübungen
Eine Münchner Zeitung (vomAugust 1974) drückte
deren Empfinden aus: »Ganz sicher ist dies: der
kunstsinnige Bayernkönig Ludwig I., Bauherr
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