aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 8

aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
bayerns verborgene schätze
|8|
Ottheinrichs »Schreibstüblein«
Kostbarkeiten einer zerstreuten fürstlichen Sammlung
Text:
Lisa Kirch
Noch heute zeigen
aus dem 16. Jahrhundert erhaltene Architekturzeichnun-
gen – er selbst hätte sie »Visierungen« genannt, – in welch luxuriöser Umgebung
Ottheinrich (1502-1559) gelebt hat. In der Tat ist der Fürst aus demHauseWittels-
bach heute vor allem wegen des Gebäudeteils des Heidelberger Schlosses bekannt,
der nach ihm benannt wurde. Ottheinrich ließ mit dem Bau beginnen, sobald er
Kurfürst von der Pfalz wurde, doch die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in
Neuburg an der Donau. Dort herrschte er über ein Herzogtum, das weder reich
noch politisch besonders bedeutend war. Trotzdem führte Ottheinrich ein Leben,
das einem Fürsten entsprach. Er trug sehr kostbare Juwelen und Kleidung, baute
seinen Palast aus, schuf Gärten und sammelte alle erdenklichen Arten von Pflan-
zen, Tieren und seltenen Stücken aus ganz Europa: Goldschmiedearbeiten, Skulp-
turen, Gemälde, Tapisserien, Bücher und Drucke.
Teile seiner Sammlung füllten das sogenannte »Schreibstüblein« seines Neuburger
Schlosses. Als Vorbild für diesen Raumdienten Studierzimmer kultivierter Männer
wie Raymund Fugger (1489-1535). Eine Sammlung in einem solchen Raum zeigte
nicht nur, wie reich der Eigentümer war, sondern auch, dass er Wert auf Bildung
legte. Diese Botschaften spielten für einen Fürsten eine weit größere Bedeutung
als für einen Händler, da sie mit seiner Stellung als Herrscher verbunden waren.
Andere Fürsten im Heiligen Römischen Reich hatten begonnen, ihre Sammlun-
gen in ähnlichen Räumen auszustellen; solche »Kunst- und Wunderkammern«
waren eine wichtige Vorstufe moderner
Museen. Allerdings wissen wir nicht ge-
nau, was diese enthielten. Ottheinrichs
»Schreibstüblein« ist deshalb ungewöhn-
lich, weil sein Inhalt in einem detaillier-
ten Inventar festgehalten ist. So sind in
der Aufstellung viele Objekte in verschie-
denen Kategorien erfasst, gelegentlich
allerdings auch nach ihrem Standort.
So hing zum Beispiel ein Kompass aus
Messing an der Wand und einige Pro-
ben alchemistischer Experimente lagen
auf der Fensterbank. Unter den Stücken
auf dem Schreibtisch befanden sich Bild-
nisse von Franz I. von Frankreich (1494-
1547) und Heinrich VIII. von England
(1491-1547), während ausgestopfte
Fische vomGewölbe herunterhingen. Im
ganzen Raum verstreut waren zudem
Gemälde und Skulpturen.
Das Inventar des
»Schreibstübleins«
zeigt außerdem, dass zur Sammlung auch
Drucke gehörten. Anders als die meisten
anderen Arbeiten inOttheinrichs Samm-
lung waren diese nicht individuell ange-
fertigt, sondern Massenware. Vervielfäl-
tigung liegt in der Natur eines Drucks.
Schließlich handelt es sich dabei um eine
Art von Bild, das ursprünglich als Ersatz
für Gemälde geschaffen wurde, die sich
die meisten Käufer nicht imOriginal leis-
ten konnten. Manchmal fügtenMaler ih-
ren Drucken Farbe hinzu, so dass diese
mehr wert waren und eher wie Gemälde
aussahen. Die Drucke im »Schreibstüb-
lein« stehen als Gemälde in der Inven-
turliste. Diese Drucke waren jedoch kein
billiger Ersatz, sondern Sammlerstücke,
undOttheinrich gehörte zu den vielen, die
Drucke als sehr hochwertig einschätzten.
Die Arbeiten im»Schreibstüblein« waren
nicht die einzigen Drucke in Ottheinrichs
Besitz. Seine astronomischen Bücher be-
inhalten auf Papier gedruckte Abbildun-
gen von astronomischen Instrumenten
und Albrecht Dürers (1471-1528) Him-
melskarten. In zwei Alben existieren
heute noch Drucke, die auf Ottheinrichs
Fotonachweis: Wikimedia Commons mit freundlicher Genehmigung von National Gallery of Art Washington D. C./Bode Museum, Berlin/British Museum, London
links
Albrecht Dürer, »Die nördliche Hemis-
phäre des Himmels«, Holzschnitt, 1515.
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,...52
Powered by FlippingBook