LZ - Jahresbericht 2014 - page 46

Themen & Perspektiven:
Deutsche Zeitgeschichte als Voraussetzung unserer Gegenwart
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Grenze erleben – Grenze erleiden – Grenze überwinden
Das „Deutsch-Deutsche Museum“ in Mödlareuth wird
ausgebaut
Nur ein Bächlein ist es, das die kleine Ansiedlung mit
gerade einmal 50 Einwohnern in zwei Teile teilt, ein
Bächlein, das man mit einem großen Schritt überspringen
kann: der Tannbach, jüngst Vorbild für einen Fernsehfilm
und dadurch wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Das ist gut so, denn dieses Bächlein markiert einen dra-
matischen Abschnitt der deutschen Geschichte. Nach dem
Ende der Nazi-Diktatur, nach manchem Hin und Her in
der Besatzungszeit, geschah etwas, das dem kleinen Dorf,
dessen östlicher Teil zu Thüringen, dessen westlicher aber
zu Bayern gehörte, traurige Berühmtheit einbrachte.
Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR
wurde nicht nur Deutschland geteilt: Die Westhälfte des
Dorfs, bislang zur amerikanischen Besatzungszone gehö-
rend, wurde der Bundesrepublik, die Osthälfte, von den
Russen besetzt, wurde der DDR zugeschlagen. Mödla-
reuth wurde zum geteilten Dorf.
Zunächst blieb es bei einem hohen, von den Grenzern
der DDR 1952 entlang des Tannbachs errichteten Bret-
terzaun, später kamen Stacheldraht, Betonpfeiler und
schließlich vielfach gesicherte Betonplatten hinzu, eine
regelrechte „Mauer“ trennte nun die Teile des Dörfchens.
Hinzu kamen Umsiedlungen, Betriebsstillegungen, Ab-
risse von intakten Gebäuden, bewaffnete Grenzstreifen,
Hunde, nächtliche Flutlichter: Aus Mödlareuth wurde
„little Berlin“ – unter diesem Namen erlangte es traurige
Berühmtheit.
Die Folgen für die Menschen waren bitter: Verwandte
und Freunde, bislang in enger Nachbarschaft, konnten
sich nicht einmal mehr sehen. Auf der Ostseite wurden
Menschen durch Umsiedlung zusätzlich ihrer Heimat
entfremdet. Bislang hatte die Länderzugehörigkeit – hier
Bayern, da Thüringen – keine Rolle gespielt, was zählte,
war die gewachsene Region. Sie wurde durch die „Grenz-
sicherungsmaßnahmen“ der DDR zerschlagen: Hand-
werksbetriebe und Fabriken mussten schließen, Bauern
verloren Teile ihrer Bewirtschaftungsflächen.
Dieser Zustand dauerte bis 1989, und tröstlich war
nur, dass während all der Jahre kein Mensch bei einem
waghalsigen Fluchtversuch von Ost nach West sein Leben
lassen musste.
Erst im Dezember, die „große“ Mauer war schon längst
durchlässig geworden, wurde auch in die Mödlareuther
Mauer ein Loch geschlagen, trafen sich die Menschen zu
einem großen Fest, und erst im Juni 1990 wurden große
Teile der Mauer niedergelegt. Das ehemals geteilte Dorf
war wieder vereint. Noch heute gehört der östliche Teil
zu Thüringen, der westliche zu Bayern, aber die Region
ist längst wieder zusammengewachsen, und das Bächlein,
wie gesagt, kann mit einem Schritt übersprungen werden.
Bereits im Jahr der Wiedervereinigung entstand die
Idee, die Erinnerung an die Teilung wachzuhalten. Ein
kleines Museum wurde begründet, das eine Dokumen-
tation und wechselnde Dauerausstellungen beherbergt
und im Freigelände einige Grenzrelikte zur Besichtigung
anbietet. Schulklassen, aber auch erwachsene Reisende
machen sich hier in steigender Zahl mit einem wichtigen
Abschnitt deutscher Geschichte vertraut. Schon lange
gibt es den Plan, aus dem kleinen Museum ein modernes
Dokumentationszentrum, attraktiv für Region wie Besu-
cher gleichermaßen, entstehen zu lassen, das den Blick
nicht nur in die Zeit des Kalten Krieges richtet, sondern
ihn auch öffnet für Gegenwart und Zukunft. Der Freistaat
Bayern hat hierfür bereits Gelder zur Verfügung gestellt,
der Zweckverband, in dessen Obhut sich das Museum be-
findet, wird es realisieren.
Mit der fachlichen Grundlegung und Begleitung des
Vorhabens wurde die Landeszentrale beauftragt, die seit
vielen Jahren in Mödlareuth Seminare durchführt. Bei
der Berufung eines Expertengremiums, der Beauftragung
eines Erstentwurfs, der fachdidaktischen und museums-
pädagogischen Konzeptionierung steht sie dem Zweck-
verband ebenso hilfreich zur Seite, wie bei der adminis-
trativen Vorbereitung des Projekts.
Geschichten sollen in Mödlareuth erzählt werden,
Grenzgeschichten, die den Alltag der Menschen, die ihn
erlebten und erlitten, anrührend und nachvollziehbar ma-
chen. Mithilfe modernster Vermittlungstechniken und
Gestaltungsmittel sollen „Grenzen“ erfahren werden kön-
nen, nicht nur im erinnernden Rückblick auf die deutsch-
deutsche Teilung, sondern auch im Rundblick auf die
Gegenwart, auf die Situation von Menschen, die Grenzen
erleben und erleiden, schließlich im Vorausblick in die
Zukunft, in der Grenzen vielleicht überwunden werden
können, so, wie die deutsch-deutsche Grenze überwunden
wurde. Schließlich und nicht zuletzt soll der Anschau-
ungs- und Dokumentationsort Mödlareuth die Attraktivi-
tät einer landschaftlich höchst reizvollen Region weiter
erhöhen.
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