Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 25

Rumänien
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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14 Vgl. dazu Ottmar Trasca: Der 23. August 1944: das Ende der deutsch-rumänischen „Waffenbrüderschaft“ und der Kampf um Bukarest, in:
Schlüsseljahr 1944, hg. v. d. Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2007, S. 173–216.
Ab den 1930er-Jahren erodierte das parlamentarische Sys-
tem Rumäniens unter dem Eindruck der Weltwirtschafts-
krise und demAufkommen faschistischer Bewegungen wie
der „Eisernen Garde“ und der „Front der Nationalen Wie-
dergeburt“ zunehmend. Sozialistische und kommunisti-
sche Parteien spielten demgegenüber nur eine untergeord-
nete Rolle. DieWeltwirtschaftskrise von 1927 traf auch Ru-
mänien hart und führte zu einer Beseitigung des
parlamentarischen Systems, das sich gegen den Niedergang
der Wirtschaft als machtlos erwies. Auch kam es zu antise-
mitischen Übergriffen. König Carol II. etablierte ab 1930
eine autoritäre Diktatur. Mit der Übertragung diktatori-
scher Vollmachten an General Ion Antonescu und der Ab-
setzung Carols II. wandelte sich der rumänische Staat ab
1940 zu einer faschistischen Militärdiktatur, die unter an-
derem etwa 120.000 rumänische Juden ermorden ließ. Ab
1941 nahm Rumänien als Verbündeter Deutschlands am
Feldzug gegen die Sowjetunion teil, um das 1940 an die
Sowjetunion verlorene Bessarabien zurückzuerobern. Ho-
he Verluste und die Niederlage rumänischer, italienischer
und deutscher Truppen vor Stalingrad Ende 1942/Anfang
1943 beeinträchtigten das Verhältnis zwischen Antonescu
und den deutschen Verbündeten und er wandte sich den
Alliierten zu. 1944 besetzte die Rote Armee Bessarabien
und die Bukowina. Rumänien trat nach dem Sturz Anto-
nescus an der Seite der Alliierten in den Krieg gegen
Deutschland ein.
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Nach dem Friedensschluss wurde Ru-
mänien zwar auf Kosten des mit Deutschland verbündeten
Ungarn Siebenbürgen zugeschlagen, Bessarabien und die
Nord-Bukowina verblieben aber unter der Kontrolle der
Sowjetunion.
Rumänien in der kommunistischen Zeit (1945–1989)
1947 wurde Rumänien nach der erzwungenen Abdankung
des Königs Mihai in eine kommunistische Volksrepublik
umgewandelt und die bürgerlichen Parteien wurden verbo-
ten. Wie in anderenOstblockstaaten (z.B. der DDR) war die
Kommunistische Partei nach der Zwangsvereinigung mit
den Sozialdemokraten die alleinige Regierungspartei; da sie
in Rumänien vor 1944 praktisch keine Rolle gespielt hatte,
stützte sie ihren Machtanspruch beinahe ausschließlich auf
sowjetische Bajonette. Mit rücksichtsloser Härte ging man
gegen die alten Eliten und die bürgerlichen Parteien vor; be-
rüchtigt war dabei der 1948 gegründete Geheimdienst
Se-
curitate
(Staatssicherheit). Ab 1948 ließ Parteichef Gheorg-
he Gheorghiu-Dej Industrie-, Transport-, Bergwerksunter-
nehmen, Versicherungen und Banken verstaatlichen sowie
ab 1950 die Landwirtschaft gegen großen Widerstand der
Bauern kollektivieren.
Nach Gheorghiu-Dejs Tod 1965 hoffte das Land
auf eine selbstständigere, politisch freiere Zukunft und eine
geringere Abhängigkeit von der Sowjetunion, die durch den
Beitritt zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1949 und
zum Warschauer Pakt 1955 sowie durch die Teilnahme an
der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 noch ge-
wachsen war. Nichtsdestotrotz hatte bereits Gheorghiu-
Dej nach dem Tod Stalins 1953 unter dem Schlagwort des
„Nationalkommunismus“ eine vorsichtige Abgrenzung ge-
gen die Sowjetunion eingeleitet, die im Abzug der letzten
sowjetischen Truppen aus Rumänien 1958 ihren Ausdruck
fand. Nicolae Ceaus˛escu, Gheorghiu-Dejs Nachfolger,
setzte diesen Weg der Selbstbestimmung Rumäniens ab
1965 fort und agierte dabei durchaus taktierend-diploma-
tisch. Im Laufe der folgenden Jahre radikalisierte er jedoch
seinen Kurs des übersteigerten Nationalismus gegenüber
dem von der Sowjetunion propagierten Internationalismus
in demselbenMaße, wie er seine Machtstellung ausbaute: Er
war Parteichef, Vorsitzender des Staatsrats und aller wich-
tigen Partei- und Regierungsorgane und seit 1974 Präsident
der Republik.
1968 kritisierte er den sowjetischen Einmarsch in
die Tschechoslowakei. In der Weltöffentlichkeit und gerade
imWesten wurde er daher als Reformator und Friedensstif-
ter wahrgenommen, wiewohl seine Herrschaftspraxis dik-
tatorisch war und Ceaus˛escu die Mitgliedschaft des Landes
im Warschauer Pakt nie in Frage stellte. Er forcierte die In-
dustrialisierung Rumäniens, unter anderem durch Zwangs-
umsiedlungen von Bauern in die Städte. Dennoch ver-
schlechterte sich ab Ende der siebziger Jahre die Versor-
gungslage wie in keinem anderen sozialistischen Staat
Osteuropas. Trotz des ausufernden Personenkults um Ce-
aus˛escu stützte sich dessen Macht v. a. auf die Allmacht der
Geheimpolizei „Securitate“ und des Militärs, die auf bruta-
le Weise jegliches Aufbegehren im Keim erstickten.
Das Wendejahr 1989/90 in Rumänien
Ende der achtziger Jahre bezog der Staats- und Parteichef
Gorbatschow eindeutig Position gegen Ceaus˛escu, der sich
- wie Erich Honecker in der DDR – gegen die Reformkon-
zepte Perestroika und Glasnost sperrte. Während sich in
den anderen Staaten des Ostblocks der Wandel weitgehend
ohne Gewalt vollzog, wie die Bezeichnungen „Friedliche
Revolution“ und „Samtene Revolution“ zum Ausdruck
bringen, verlief der Umsturz in Rumänien dramatisch. Das
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