Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 20

Sofia, Schild an einer Wechselstube – 2006
Foto: ullstein bild - allOver
Neue Serie: Ländernotizen 1. Folge: Bulgarien und Rumänien
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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Kinder auf einem müllübersäten Platz vor einem Plattenbau der
Siedlung Stolypino in Plowdiw (April 2000)
Foto: ullstein bild - Reuters
Simeon II. von Bulgarien winkt den Menschen zu, die ihn am
15.04.1997 in Gorna Orjachowitza (Bulgarien) begrüßen.
Foto: ullstein bild - Reuters
triebe vorangetrieben. Es gelang der SDS-Regierung jedoch
nicht, die wirtschaftliche Situation Bulgariens entscheidend
zu stabilisieren. Insbesondere der Unmut über schmerzhaf-
te soziale Einschnitte, aber auch die mangelnde Bekämp-
fung der Korruption führten bei den Wahlen zur Volksver-
sammlung (bulg.
Narodno Sabranie
) 2001 zu starken Ver-
lusten der SDS. Wahlgewinner war die „Nationale
Bewegung“ des früheren bulgarischen Zaren Simeon II.
(NDSW), die die Hälfte aller Mandate gewann. Simeon
wurde, unter seinem bürgerlichenNamen Simeon Borissow
Sakskoburggotski, zum Ministerpräsidenten der Republik
Bulgarien gewählt. In seiner Regierungszeit näherte er Bul-
garien der EU und der NATO an. Experten bescheinigten
Bulgarien große wirtschaftliche Fortschritte; die Aussicht
auf einen EU-Beitritt rückte näher.
Von demwirtschaftlichen Aufschwung konnten al-
lerdings die ländlichen Regionen des Landes nicht profitie-
ren. Dies führte bei denWahlen 2005 zu einem erneuten Re-
gierungswechsel. Die „Nationale Bewegung“ wurde wieder
von den Sozialisten als stärkste Partei abgelöst, die eine in-
haltlich nur schwer vereinbare Koalition mit der türkischen
Minderheit und der „Nationalen Bewegung“ Simeons bil-
dete. Diese wechselvolle Geschichte setzte sich mit einer er-
neuten Abwahl der Regierung im Jahr 2009 fort, der die Re-
gierung des früheren Bürgermeisters von Sofia, Bojko Bo-
rissow, folgte. Seine Partei „Gerb“ wurde im Parlament von
der rechtsextremen Partei „Ataka“ und zwei kleineren Par-
teien unterstützt. Als es im Februar 2013 zu massiven De-
monstrationen aufgrund stark gestiegener Energiepreise
und schlechter Lebensbedingungen der Bevölkerung kam,
musste Borissow zurücktreten. Bei den vorgezogenen Neu-
wahlen imMai 2013 avancierte „Gerb“ zwar mit 31 Prozent
der Wählerstimmen wieder zur stärksten Partei, verlor je-
doch insgesamt deutlich an Zustimmung. Die erstarkten So-
zialisten lagen mit 27 Prozent hinter „Gerb“, konnten aber
dennoch mit der Partei der türkischen-islamischen Minder-
heit (DPS) und der nationalistischen „Ataka“ eine Regie-
rung bilden. Wie an dieser Koalition deutlich wird, sind die
Parteien in Bulgarien häufig gezwungen, aus rein rechneri-
schen Gründen mit Parteien zusammenzuarbeiten, die ih-
nen inhaltlich eher konträr gegenüberstehen. Wie sonst lie-
ße sich eine Koalition einer rechtsextremen Partei wie Ata-
ka, die ihre Politik vor allem auf die Diskriminierung von
Minderheitenwie den Türken und den Roma ausrichtet, mit
der DPS erklären? Bei allen Parteien gibt es zudem Hin-
weise auf Korruption und Kontakte zur organisierten Kri-
minalität.
Wenn man die Entwicklung in Bulgarien seit dem
Ende des Staatskommunismus betrachtet, so ist zu konsta-
tieren, dass es keiner Partei und Regierung gelungen ist, die
Probleme des Landes auch nur annähernd zu lösen. Kor-
ruption in Staat und Verwaltung, hohe Kriminalität, die Ver-
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