Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 11

Zur Lage der Ukraine zwischen Ost und West: Strukturen und aktuelle Entwicklungen
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
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9 Vgl.
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kiew-ausgeweitet-11_id_3563019.html [Stand: 18. März 2014].
10 Vgl. etwa
[Stand: 18. März
2014].
11 Vgl.
[Stand: 18. März 2014].
der wie Großbritannien, Polen und Schweden verhinderten
sie, mit dem Argument, Russland erhielte ansonsten ein
„Vetorecht“ in europäischen Fragen. Die Lage eskalierte
weiter.
Gewalteskalation
Als am 18. Februar Schüsse fielen und zahlreiche Menschen
ums Leben kamen, kannte Schwedens Außenminister Carl
Bildt bereits den Schuldigen: Wiktor Janukowitsch habe
„Blut an seinen Händen“.
9
Minister Steinmeier sprach hin-
gegen davon, dass „Gewalt und Gegengewalt“ stattgefun-
den habe, ohne Schuld zuzuweisen oder die ursprüngliche
Verantwortung für das Blutvergießen zu thematisieren. Die
Bundeskanzlerin und der Präsident Frankreichs äußerten
sich bei ihrem Treffen am 19. Februar ähnlich.
Angela Merkel erklärte am 19. Februar nach einem
Telefonat mit dem russischen Präsidenten, beide seien über-
eingekommen, alles zu tun, um eine Gewalteskalation zu
vermeiden. Sie betonte, sich mit dem Kreml „weiterhin eng
abzustimmen“.
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Wenn sich im Falle einer schweren innenpoliti-
schen Krise äußere Akteure eindeutig auf die Seite eines La-
gers stellen, besteht die Gefahr, dass dessen Bereitschaft,
Kompromisse einzugehen, beeinträchtigt wird. Dies hat zur
Eskalation in der Ukraine beigetragen.
Am 21. Februar 2014 vereinbarten der damalige
Präsident Janukowitsch auf der einen und die drei führen-
den Oppositionspolitiker auf der anderen Seite ein Verfah-
ren zur Beilegung der Krise. Diese hatte in den vorherge-
henden Tagen zu bis zu 100 Menschenleben gekostet. Das
Abkommen wurde in Gegenwart der Außenminister
Deutschlands, Frankreichs und Polens sowie des Sonderge-
sandten Russlands unterzeichnet. Janukowitsch wurde
nach den Angaben des polnischen Außenministers von
Russlands Präsident zur Unterschrift gedrängt.
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Die hinfällige Einigung
Die an die Macht gelangte Opposition hielt sich in zentra-
len Punkten jedoch nicht an die Vereinbarung. So wurde
keine „Regierung der nationalen Einheit“ gebildet, obgleich
hierfür geeignete Kandidaten der bisherigen Regierungs-
partei bereitgestanden hätten.
Zudem wurde das Gesetz von 2012 revidiert, Re-
gionen zu gestatten und neben der Staatssprache auch eine
weitere offiziell zuzulassen. Dies widersprach zumindest
dem Geist der Einigung vom 21. Februar. Der amtierende
ukrainische Präsident erklärte zwar auf äußerenDruck nach
einigen Tagen, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Dies
könne jedoch jederzeit erfolgen.
Es wurde vereinbart, unter der gemeinsamen Auf-
sicht der Regierung, der Opposition sowie des Europarats
Untersuchungen über die Gewalttaten der vorhergehenden
Tage und Monate durchzuführen – ein Vorhaben, das nicht
in die Tat umgesetzt wurde. Die neue Mehrheit im ukraini-
schen Parlament beauftragte vielmehr einen führenden Ver-
treter der rechtsradikalen „Swoboda“-Partei damit, die Ar-
beit der Generalstaatsanwaltschaft zu beaufsichtigen. Somit
stand fest, dass Tötungsdelikte und schwere Körperverlet-
zungen, die möglicherweise von gewalttätigen Oppositio-
nellen begangen wurden, nicht untersucht würden.
Russland sah sich durch dieses Vorgehen hinter-
gangen. Und vor allem: Von der neuen ukrainischen Füh-
rung war aus Moskauer Sicht eine Gefährdung sehr ge-
wichtiger strategischer und wirtschaftlicher Interessen zu
erwarten. Die Krimwar der Ansatzpunkt, um sowohl Kiew
als auch den Westen zu einem Kompromiss zu nötigen. In
der russischen Geschichtserzählung ist die Ukraine ein
wichtiger Bestandteil nationaler Identität, da die mittelal-
terliche Herrschaft der „Kiewer Rus“ als wichtiger Vorläu-
fer des Zarenreichs verstanden wird. In Russland herrschte
weitgehende Einigkeit, dass es erheblich an Verteidigungs-
fähigkeit einbüßen würde, falls die Ukraine der NATO bei-
träte. Dies könnte seine Position als eigenständig agierende
Macht gefährden.
Moskaus Glaubwürdigkeitsverlust
Russland behauptete, die Bewaffneten, die am 28. Februar
die Kontrolle über die Krim übernahmen, seien örtliche
Selbstverteidigungskräfte, die Moskau nicht kontrolliere.
Dies war in Anbetracht ihrer Ausrüstung und ihres Verhal-
tens unglaubwürdig. Die Soldaten trugen zudem keine Ho-
heitszeichen, was gegen die Genfer Konvention verstieß.
Präsident Putin erklärte, dass auch den Krimbewohnern das
Recht auf Selbstbestimmung zustehe. Moskau selbst hat die
territoriale Integrität der Ukraine – nachdem Staats- und
Parteichef Chruschtschow die Halbinsel der Ukraine „ge-
schenkt“ hatte - jedoch 1994 völkerrechtswirksam aner-
kannt und sogar garantiert. Zudem konnte die Volksab-
stimmung über den Status der Krim kein authentisches Bild
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