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Fernsehen
Die "Droge aus der Steckdose" Ist der Hauptfeind des
Buches. Ihn auszuschalten, Ist erstes Gebot der
Leseerzlehung.
Fortsetzung von Seite 6
Ob das Schicksal des Buches
damit besiegelt ist, hängt vor al–
lem von den Eitern ab und von
dem Stellenwert, den wir dem
Buch geben. Welche Gründe
haben wir eigentlich, uns im
Fernsehzeitalter für das Bücher–
lesen stark zu machen? Ver–
dient es überhaupt noch unsere
besondere Wertschätzung?
Die unbestrittene Stärke des
Buches liegt eindeutig in seiner
Fähigkeit, den Einfallsreichtum
und die schöpferische Phanta–
sie zu wecken. Der Buchleser
bleibt geistig nicht untätig wie
Märchen
Vorlesen öffnet schon den
Kleinsten das Tor zur Welt der
Bücher. Es bereichert Ihre Spra–
che und führt die Familie zu–
sammen.
der Fernsehzuschauer, sondern
er tut etwas, er trägt Persönl i–
ches ins Buch hinein. Seine
Phantasie erschafft beim Lesen
pausenlos Bilder, baut Szene
für Szene die Handlung auf der
inneren Bühne nach, porträtiert
Gesichter, malt Personen,
Wohnräume,
Landschaften,
ruft Freude und Angst hervor,
zaubert Stimmung und Gefühl.
Mit dem Buch reist die Phan–
tasie in die graue Vorzeit zu–
rück oder ergeht sich in kühnen
Zukunftsvisionen. Dabei muß
der Leser pausenlos eigene
Energie und Initiative einset–
zen, um die knappen Anstöße
und Impulse aus den "toten"
Buchstaben zur vollen Lebens–
größe zu entfalten . Vom Fern–
sehzuschauer wird gerade das
nicht verlangt: Ebenso wie der
Betrachter von Comic-Streifen
konsumiert er nur Fertigware,
die Phantasie bleibt hier wie
dort ungeweckt und ungefor–
dert, ja wird geradezu lahmge–
legt Hin und her gerüttelt von
den rasch wechselnden Bildern
und einem pausenlosen Schau–
platzwechsel werden beide in
ständiger seelischer Unruhe ge–
halten. Eigene Einfälle werden
verschüttet.
Die Weit des Buches dage–
gen ist die Stille. Versunken
und nach innen gekehrt, von
der lauten Umwelt abgekop–
pelt, so kennen wir den Leser.
Darum ist das Buch ein ausge–
zeichnetes Mittel, ja geradezu
die hohe Schule der Konzentra–
tion. Das Buch ist auch bestän–
dig. Es flimmert nicht sekun-
denschnell und auf Nimmer–
wiedersehen vorbei, sondern
ist auf Dauer verfügbar. Auch
die Aufnahmegeschwindigkeit
beim Lesen läßt sich je nach
den persönl ichen Umständen
verlangsamen oder beschleuni–
gen. Man kann zurückblättern,
etwas zweimal oder auch zehn–
mal lesen.
Das Buch gibt Freiraum zum
Nachdenken, zum Mitkommen
und zum Wiederholen . Die
elektronischen Medien dage–
gen sind tyrannisch. Sie diktie–
ren ihr Programm. Sie schrei–
ben vor, was man sieht und
hört. Auch wie, wann, aus wel–
chem Blickwinkel und wie
schnell der Informationsstrom
kommt, ist nicht zu beeinflus–
sen . Der Zuschauer, vor allem
der junge, hat meist keine Zeit,
das Gehörte und Gesehene
richtig zu verstehen, einzuord–
nen, kritisch zu sichten, ein ei–
genes Urteil zu finden .
Obwohl Fernsehen mehr zu
bieten scheint als es eine An–
sammlung gedruckter Buchsta–
ben je könnte, ist dennoch sei–
ne kreative Wirkung ganz of–
fensichtlich viel geringer.
Nicht nur Erwachsene ma–
chen diese Erfahrung, wenn sie
etwa ihren Lieblingsroman als
Fernsehspiel sehen. Auch Kin–
der erkennen schon den Unter–
schied deutlich . Überraschend
genau definierte ihn kürzlich
eine Zehnjährige: Beim Lesen
der "Biene Maja", so meinte
sie, könne man richtig mitflie–
gen, im Film aber ginge das
nicht.
Ob Biene Maja oder Budden–
brooks: Pausenlos fügt der le–
sende Mensch etwas hinzu, er–
gänzt, malt aus, schreibt wei–
ter. Lesen heißt mitgestalten.
Darum dienen Bücher der Ent–
faltung, bahnen den Weg zur
eigenen Persönlichkeit.
Natürlich ist nicht das Lesen
an sich wertvoJI und schon gar
nicht das wahllose Durchein–
anderlesen .
Entscheidend
kommt es darauf an, welche
Bücher die
Elte.rnihren Kindern
in die Hand geben. Keine un–
bedingt glückliche Wahl trifft
zum Beispiel , wer sich nur auf
die vielen Sachbücher be–
schränkt, die heute überall an–
geboten werden. Zwar ergän–
zen, vertiefen und veranschau–
lichen sie den Stoff der Schule
oft hervorragend . Wer aber an–
nimmt, hier würden zwei Fli -
gen mit einer Klappe gesc
· ~
gen, · nämlich das Kind zurn...
Buch geführt und gleichzeitig
Schulwissen aufbereitet oder
vermehrt, der irrt.
Für die Entwicklung unserer
Kinder, für ihre Persönlichkeits–
bildung und zum Wecken ihrer
eigenschöpferischen Kräfte ist
die erzählende Literatur uner–
setzlich. Sie bietet vor allem
der kindlichen Phantasie ein
unermeßl ich weites Betäti–
gungsfeld, stellt in leicht ver–
ständlicher Form Lebensmodel–
le und Verhaltensmuster vor
Augen . Verstärkt durch die ei–
gene Vorstellungskraft wirkt der
Eindruck eines spannend er–
zählten Jugendbuches oft prä–
gend für das ganze Leben .
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b.ldWer selbst stundenlang in die Röhre
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glotzt, darf sich nicht wundern, wenn der
Appell zu
m Lesen bei Kindern auf wenig Gegenliebe stößt. Auch in
der Leseerziehung überzeugt nur das gute Beispiel.