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6

CONTRA

W

er mit Büchern zu tun hat, wer

welche besitzt und sie gar noch

liest, gilt als gebildet. Darum ist je–

dermann für Bücher und niemand

gegen das lesen. Ettern, Lehrer und Kul-

turkritiker sind sich hier ganz einig.

Der Buchhandel meldet Rekordzah–

len. Auflagen und Umsätze sind hoch,

Bücher werden in Massen gekauft.

Zehntausen<ile neuer Titel erscheinen

alljährlich auf dem Markt, ein schier

umfaßbar großes Angebot. Damit

scheint alles in bester Ordnung zu sein

mit der Literatur, der Lesekultur und den

Büchern hierzulande. Oder etwa nicht?

Wenn die Weft des Buches rundum

so heil ist, warum, so fragt man sich,

gibt es dann eigentlich eine Gesell–

schaft zur Förderung des lesens? War–

um müssen eigene Lesewettbewerbe

dem Buch Freunde unter der Jugend ge–

winnen? Warum läuft eine Fernseh-Se–

rie zur Sympathiewerbung für das Buch?

Kaum aus purem Zufall .

ln unzähligen Lehrersprechstunden

beklagen Eltern heute die großen

Schwierigkeiten, bei ihren Kindern den

Spaß am lesen zu wecken. Oft gelingt

die Annäherung nur unter massivem

Druck. Aber wahre liebe zum lesen

wird kaum wachsen, wenn Zwang am

Anfang steht. Eher wohl das Gegenteil,

nämlich eine lebenslange Abneigung

gegenüber dem Buch.

Gewiß gibt es Kinder, die auch heute

ihre Freizeit mit und hinter Büchern ver–

bringen . Sehr zahlreich scheinen sie

aber nicht zu sein. Eher droht die le–

seunlust beim Nachwuchs zum Nor–

malfall und zum Anlaß begründeter Sor–

gen in vielen Elternhäusern zu werden .

Verabschiedet sich hier eine neue Ge–

neration vom Buch? Warum ist lesen

nicht mehr "in"?

lesen war zu keiner Zeit bequem und

ist es auch heute nicht. Es strengt an, es

fordert die Bereitschaft zur geistigen

Mobilität und Mitarbeit. Man muß sich

auf jedes Buch neu einstellen, muß in

Unbekanntes eindringen, braucht zwei–

fellos auch Willenskraft- besonders am

Anfang- um bei der Sache zu bleiben.

Da ist der Fernseher schon ganz was

anderes! Den schaltet man bloß an, und

schon läuft und läuft er. Bilder, Spra–

che, Musik - wie die gebratenen Tau–

ben im Schlaraffenland fliegen sie aus

dem Flimmerkasten direkt in den Kopf.

Freiwillig, hingebungsvoll und stunden–

lang wird darum geglotzt, was die Röh–

re hergibt. Auch schon die Allerklein–

sten sind da voll bei der Sache. Kein

Zweifel: Die bequeme "Droge aus der

Steckdose" zieht mehr als jedes Buch .

Unterhaltungselektronik und Comic–

Heftchen wurden zur großen Konkur–

renz der lesekultur.

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