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CONTRA
W
er mit Büchern zu tun hat, wer
welche besitzt und sie gar noch
liest, gilt als gebildet. Darum ist je–
dermann für Bücher und niemand
gegen das lesen. Ettern, Lehrer und Kul-
turkritiker sind sich hier ganz einig.
Der Buchhandel meldet Rekordzah–
len. Auflagen und Umsätze sind hoch,
Bücher werden in Massen gekauft.
Zehntausen<ile neuer Titel erscheinen
alljährlich auf dem Markt, ein schier
umfaßbar großes Angebot. Damit
scheint alles in bester Ordnung zu sein
mit der Literatur, der Lesekultur und den
Büchern hierzulande. Oder etwa nicht?
Wenn die Weft des Buches rundum
so heil ist, warum, so fragt man sich,
gibt es dann eigentlich eine Gesell–
schaft zur Förderung des lesens? War–
um müssen eigene Lesewettbewerbe
dem Buch Freunde unter der Jugend ge–
winnen? Warum läuft eine Fernseh-Se–
rie zur Sympathiewerbung für das Buch?
Kaum aus purem Zufall .
ln unzähligen Lehrersprechstunden
beklagen Eltern heute die großen
Schwierigkeiten, bei ihren Kindern den
Spaß am lesen zu wecken. Oft gelingt
die Annäherung nur unter massivem
Druck. Aber wahre liebe zum lesen
wird kaum wachsen, wenn Zwang am
Anfang steht. Eher wohl das Gegenteil,
nämlich eine lebenslange Abneigung
gegenüber dem Buch.
Gewiß gibt es Kinder, die auch heute
ihre Freizeit mit und hinter Büchern ver–
bringen . Sehr zahlreich scheinen sie
aber nicht zu sein. Eher droht die le–
seunlust beim Nachwuchs zum Nor–
malfall und zum Anlaß begründeter Sor–
gen in vielen Elternhäusern zu werden .
Verabschiedet sich hier eine neue Ge–
neration vom Buch? Warum ist lesen
nicht mehr "in"?
lesen war zu keiner Zeit bequem und
ist es auch heute nicht. Es strengt an, es
fordert die Bereitschaft zur geistigen
Mobilität und Mitarbeit. Man muß sich
auf jedes Buch neu einstellen, muß in
Unbekanntes eindringen, braucht zwei–
fellos auch Willenskraft- besonders am
Anfang- um bei der Sache zu bleiben.
Da ist der Fernseher schon ganz was
anderes! Den schaltet man bloß an, und
schon läuft und läuft er. Bilder, Spra–
che, Musik - wie die gebratenen Tau–
ben im Schlaraffenland fliegen sie aus
dem Flimmerkasten direkt in den Kopf.
Freiwillig, hingebungsvoll und stunden–
lang wird darum geglotzt, was die Röh–
re hergibt. Auch schon die Allerklein–
sten sind da voll bei der Sache. Kein
Zweifel: Die bequeme "Droge aus der
Steckdose" zieht mehr als jedes Buch .
Unterhaltungselektronik und Comic–
Heftchen wurden zur großen Konkur–
renz der lesekultur.
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