Dies ist jedoch nicht der
einzigeVorteil, den die sechs–
stufige Realschule, von Insi–
dern kurz R6 genannt, mit
sich bringt. Ihr größtes Plus:
Sie erspart vielen Kindern
einen zweiten Schul-, Klas–
sen- und Lehrerwechsel und
den Umweg über Haupt–
schule oder Gymnasium.
Zeitraubende und in vielen
Fällen auch demotivierende
Schulwechsel entfallen, wenn
die Schüler von Anfang an
die für sie richtige Schulart
besuchen . Studien haben zu–
dem ergeben, dass ein Schul–
wechsel nach der vierten
Jahrgangsstufe leichter zu
verkraften ist als mitten in
der Pubertät. In anderen Län–
dern, in denen die R6 seit
langem eine Selbstverständ–
lichkeit ist, müssen übrigens
bis zu 80 Prozent weniger
Realschüler eine Klasse wie-
derholen! In dem entspre–
chenden bayerischen Schul–
versuch lagen die Leistun–
gen an der R6 denn auch
um eine halbe bis eine gan–
ze Note über denen in der
vergleichbaren Jahrgangs–
stufe der R4 . Das heißt,
die R6 bringt verbesserte
schulische Erfolgschancen -
und das ist es, worauf es
mir vor allem ankommt: gute
schulische Perspektiven, mög–
lichst wenig Versagensängs–
te und genügend Zeit, um
die Anforderungen an der
Realschule sicher bewälti–
gen zu können. Die Schule
ist für die Kinder da und
nicht umgekehrt.
Angesichts dieser Fülle
an Vorteilen ist es umso er–
staunl icher, dass immer wie–
der Stimmen laut werden,
die vor der Einführung der
R6 warnen . Sie verbaue
Spätentwicklern die Chance
auf einen mittleren Schulab–
schluss, lautet ein häufig
vorgebrachter Vorwurf. Ge–
rade für diese Schülergrup–
pe wu rde jedoch der so ge–
nannte M-Zug an der Haupt–
schule geschaffen. Hier kön–
nen begabte Hauptschüler
in eigens für sie eingerichte–
ten Klassen ab der 7 . Jahr–
gangsstufe - also genau ab
dem Zeitpunkt, zu dem sie
früher an die Realschule ge–
wechselt wären - auf die
mittlere Reife vorbereitet wer–
den, die sie dann in einer
eigenen Prüfung am Ende
des 10. Schuljahres erwer–
ben . Die bisherige Freiwilli–
ge 10. Klasse wird sozusa–
gen nach unten hin
erwei~
tert. Bereits jetzt zeichnet
sich ab, dass diese Mög–
lichkeit für junge Menschen
eine überaus attraktive Al–
ternative darstellt, bietet sie
doch die Möglichkeit, im
vertrauten Lernumfeld der
Hauptschule zu bleiben . Zu–
dem muss zumeist kein län–
gerer Schulweg in Kauf ge–
nommen werden . Durch ih–
re Berufs- und Praxisnähe ist
die 10. Klasse der Haupt–
schule mit ihrem mittleren
Schulabschluss auf dem Ar–
beitsmarkt hoch akzeptiert.
Die Befürchtung, auf die
Grundschüler komme nun
ein vergrößerter Leistungs–
und Auslesedruck zu, lässt
sich ebenso leicht zerstreu–
en . Die Durchlässigkeit und
Flexibilität unseres Schulsys–
tems war noch nie so groß
wie jetzt. Ein Wechsel von
der 5 . Klasse Hauptschule
in die 5 . Klasse Realschule
oder Gymnasium ist unter
den gleichen Bedingungen
möglich wie nach der 4 .;
von der 5 . bzw. 6. Klasse
Hauptschule in die 6 . bzw.
7 . Klasse Realschule kommt
man bei einem Notendurch–
schnitt von 2,0 in den Fä–
chern Deutsch, Mathematik
und Englisch ohne Aufnah- .
meprüfung .
Daneben gibt es viele
Möglichkeiten, sich über die
berufliche Bildung weiter zu
qualifizieren - eine Tatsa–
che, die in der Öffentlich–
keit leider noch zu wenig
Augenmerk erhält. So wird
inzwischen rund ein Viertel
aller mittleren Schulabschlüs–
se durch gute Leistungen in
der Berufsschule, Fachschu–
le oder Berufsfachschule er–
reicht. Und ein Drittel der
jungen Leute, die an unse–
ren Hochschulen studieren,
haben ihre Qualifikation
über die Fachoberschule,
Berufsoberschule oder die
Fachakademie erworben.
Außerdem wird bei den
in Zukunft geltenden Über–
trittsmodalitäten der Eltern–
w ille wesentlich stärker als
bisher berücksichtigt. Die Er–
fahrung mit dem Schulver–
such hat nämlich gezeigt,
dass viele Eltern bewusst
und verantwortungsvoll über
die Schullaufbahn ihrer Kin–
der entscheiden, wenn sie
in die Beratung und Verant–
wortung für d ie Übertritts–
entscheidung eingebunden
sind. Genau dies bietet die
jetzt in Kraft tretende Re–
form .
Die strukturellen Reformen
an Haupt- und Realschule
sind eingebettet in ein Ge–
samtpaket inhaltlicher, ver–
waltungsbezogener und un–
terrichtlicher Veränderungen,
die unser Schulwesen von
der Grundschule bis zum be–
ruflichen Schulwesen trotz
der knappen finanziellen
Ressourcen sukzessive wei–
terentwickeln werden , da–
mit unsere Kinder gute Zu–
kunftsperspektiven in einer
sich rasch wandelnden Welt
haben .
Ihre
Uw·k:~
HohlUU?Jer
Monika Hohlmeier
D
3/ 99 SCHULE
aktuell
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