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Fortsetzung von Seite 16

Front immer näherrückt, klet–

tern die noch am Bahnhof aus–

harrenden Buben und Mäd–

chen auf die Fahrzeuge, beglei–

tet von Ludwig Schwan und

vier weiteren Lehrern. Spät

abends trifft der Transport im

Städtchen Pantschowa ein,

50 km westlich von Karlsdorf.

Ein verlassenes Schulhaus wird

das erste Nachtquartier.

Aber das Schicksal der Zu–

hausegebl iebenen läßt Lehrer

Schwan keine Ruhe. Mit den

Wehrmachtsfahrzeugen fährt er

in das Heimatdorf zurück, bet–

telt dort noch einmal vier oder

fünf Schüler los aus den Fami–

lien. Als er im Morgengrauen

mit ihnen in Pantschowa an–

langt, geht es per Eisenbahn

weiter Richtung Belgrad .

Aber schon nach wenigen Ki–

lometern hält der Zug auf freier

Strecke: Die große Donaubrük–

ke wurde am Vortag gesprengt.

NuR heißt es zu Fuß weiter–

flüchten. Koffer und Proviant–

körbe bleiben zurück. Eine Mi–

litärfähre bringt Stunden später

alle glücklich über den Strom .

Als sie gegen drei Uhr nach–

mittags ausgehungert und er–

schöpft den Bahnhof Belgrad

erreichen, haben die meisten

nur mehr das bei sich, was sie

auf dem .Leib tragen . Gegen

Abend finden die Karlsdorfer

dann Platz in einem mit ande–

ren Kindern aus dem Banat

schon völlig überfüllten Zug

Richtung Wien.

Tagelang geht es nun über

Nebenstrecken und durch Par–

tisanengebiet zur Österreichi–

schen Grenze. Angst vor der

Zukunft, Heimweh und Hunger

setzen den Kindern arg zu .

"Wir saßen am Boden, hielten

uns bei den Händen und tröste–

ten uns gegenseitig, während

wir weinten ", erinnert sich eine

Teilnehmerin .

Aber auch davon erzählt sie,

wie liebevoll sich Lehrer

Schwan um alles kümmert. Er

macht den Kinder Mut, ver–

sucht sie mit Liedern aufzuhei–

tern . lrgendwo treibt er sogar

ein Fläschchen Kölnisch Was–

ser auf für die Mädchen.

Am Morgen des 5. Oktober

1944 erreicht der Zug Wien.

Zum ersten . Mal seit dem Auf–

bruch im fernen Banat gibt es

warmes Essen für die Kinder.

Dann trifft die Hiobsbotschaft

ein: Österreich ist überfüllt von

Flüchtlingen . Die Fahrt ins Un-

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gewisse muß also weitergehen.

Es ist Samstag, der 7. Oktober,

als die Karlsdorfer in Passau an–

kommen. Hier erwartet sie eine

noch schlimmere Nachricht:

Die kleine Schicksalsgemein–

schaft wird aufgeteilt! Die Bu–

ben gehen mit Ludwig Schwan

nach Niederbayern, die Mäd–

chen mit einer Lehrerin nach

Oberfranken . Als ihr Zug ab–

fährt, stehen die Buberi mit

dem Lehrer am Bahnsteig. Sie

singen den Mädchen ein Ab–

schiedslied. Viele weinen.

Der Gasthof Buchner in Mal–

lersdorf, nahe Landshut, wird

nun das vorläufige Zuhause für

Ludwig Schwan und seine Bu-

A

ls die Kinder

Belgrad er–

reichten.

hatten sie nur mehr

das bei sich. was sie

aufdem Leib

trugen.

ben. Der Winter kommt, mehr

als drei Monate verstreichen .

Man lebt sich ein, sogar provi–

sorischer Unterricht findet statt.

Auch der Kontakt zur Mäd–

chengruppe reißt nicht ab.

Dreimal besucht sie Lehrer

Schwan in Hof an der Saale.

Briefe gehen hin ·und her.

Einer ist erhalten geblieben.

Darin schreibt Ludwig Schwan :

",ch war zwei Jahre Euer Leh–

rer. Das Schicksal hat uns aus–

einandergerissen. Aber ich

glaube mit Recht sagen zu

dür~

fen, ich war nicht nur Euer Leh–

rer, sondern Euer bester Kame–

rad. Ich habe Euch alle von

Herzen gern gehabt. Ihr wart

ein Teil von mir . . .".

Ende Januar 1945 ist die Ru–

hepause in Niederbayern vor–

bei . Die Banater werden erneut

evakuiert, diesmal in die Tsche–

choslowakei . Abermals ein

Aufbruch, eine Fahrt ins Unge–

wisse. 20 Kilometer westlich

von Prag, in der Stadt Beraun,

finden wir die Buben und ihren

Lehrer wieder. Eine ehemalige

Kaserne ist nun ihr Quartier.

Mitte April 1945 tritt hier

eine dramatische Wende ein .

Im Morgengrauen heißt es

plötzlich antreten. Nazi-Funk–

tionäre aus Beraun lassen die

Kinder einen Eid schwören auf

Führer, VQik und Vaterland.

Für sie gelte es nun zu kämp–

fen . Gleichzeitig werden Waf–

fenübungen angeordnet. Auch

Panzersperren sollen ausgeho–

ben werden.

Für Lehrer Schwan gibt es

keinen Zweifel: Seine 13- und

14jährigen Schüler sollen in

den "Volkssturm" eingegliedert

und den russischen Truppen

entgegengeworfen werden, die

schon östlich von Prag stehen .

Da beschließt er zu handeln.

Am nächsten Nachmittag

schart er auf einer einsamen

Waldlichtung seine Schützlinge

um sich, verpflichtet sie zu

strengstem

Stillschweigen .

Dann enthüllt er ihnen einen

hochverräterischen Plan : "Wir

werden unser Vaterland gewiß

verteidigen, aber nicht hier in

der Tschechoslowakei, sondern

in Deutschland."

Er befiehlt den Kindern, ihre

Sachen heimlich zu packen;

denn der Aufbruch werde

plötzlich erfolgen . Am näch–

sten Tag besorgt Schwan in

Prag bei der Volksgruppenlei–

tung der Banatereinen Blanko–

Fahrschein. Die Nacht zum 16.

April 1945 bricht an . Nach ein

paar Stunden Schlaf weckt Lud–

wig Schwan die Kinder. Im

Dunkeln führt er sie zum

Bahnhof.

Als der Morgen graut, bestei–

gen sie einen Zug nach Pilsen .

Von dort erreichen sie noch am

Nachmittag die bayerische

Grenzstadt Furth im Wald.

Dann folgt eine Nacht im War–

tesaal. Den Angriff ein iger Tief–

flieger am nächsten Tag über–

stehen Kinder und Lehrer heil

in einem Splittergraben .

Dort haben auch Soldaten

einer Panzergrenadier-Kompa–

nie Zwflucht gefunden . Vollge–

packt mit Kampfgerät steht ihr

Transportzug abfahrbereit in

Richtung Westen. Könnte er die

Kinder ein Stück weit mitneh–

men? Lehrer Schwan ve[han–

delt mit dem Kommandeur.

Der willigt schl ießlich ein.

Zwischen Kettenfahrzeugen,

Kanonen und Munitionskisten

gelangt so die Schülerschar ge–

gen Abend nach Cham. Auf

dem Fußboden im Wartesaal

des Bahnhofs, mitten unter Sol–

daten und Flüchtlingen, bettet

sie Lehrer Schwan zur Nacht.

Zu ihrer letzten gemeinsamen

Nacht.

Ludwig Schwan, der Lehrer der

Banater Kinder. Er wurde nu

24 Jahre alt. Oft stehen Blu.

auf seinem Grab.

Q

ie Tragödie

begann 1944

mSüdosten

Europas. Sie endete

200 Tage später in

einer bayerischen

Kreisstadt.