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der s&w-serie

WlffUm

Seit über 100 Jahren steht die Kurzschrift schon auf dem Stundenplan unserer Schulen. Auch in

A

m

7. November des

Jahres 63 v. Chr. erhob

sich der wortgewaltige

Staatsmann Cicero im

Römischen Senat zu seiner

weltberühmten Anklage gegen

den Staatsfeind Catilina. Rund

2000 Jahre ist diese Rede alt,

und doch kennen wir sie heute

Satz für Satz. Wie ist das mög–

lich? Wer hat die flüchtigen

Worte festgehalten in dieser

Zeit ohne Tonband und Diktier–

gerät?

Der Mann hieß Tiro. Er war

ein freigelassener griechischer

Sklave. Wegen seiner hohen In–

telligenz hatte ihn Cicero als

Sekretär eingestellt. Die Arbeit

des Schreibers mußte schnell

von der Hand gehen . Ob Re–

den oder gelehrte Abhandlun–

gen, der Chef pflegte alles aus

dem Stegreif zu formulieren.

Um besser mitzukommen

und ja · keinen Gedanken zu

verlieren, erfand Tiro für Tau–

sende von Wörtern einfache

Schriftbilder, sogenannte "No–

ten" (Abb. S. 15). Nun konnte

er das Gesprochene flugs in

sein Wachstäfelchen ritzen:

Die Kurzschrift war erfunden. .

Tiros Technik wurde von der

Nachwelt ausgebaut und ver–

feinert, im Mittelalter beson–

ders von Gelehrten und Geistli–

chen. Aber als mit der Neuzeit

die Demokratie in Europa auf–

kam, trat die Schnellschrift aus

den Studierstuben heraus. ln

den frühen Parlamenten Eng–

lands und Frankreichs wollte ·

man die oft hitzigen Debatten

schriftlich festhalten. Dazu

mußten aber für jede Landes–

sprache neue Schreibsysteme

erfunden werden.

Rechts des Rheins tat dies ein

bayerischer Ministerialbeam–

ter: Franz Xaver Gabelsberger.

V

Im Büro ist heute Tech–

nik Trumpf. Trotzdem

steht die Kurzschrift

hoch im Kurs.

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Seine "Rede-Zeichenkunst" er–

lebte die Feuertaufe 1819 im

Bayerischen Landtag. Wort für

Wort hielt er damals die Reden

fest, so wie heute noch seine

Nachfolger in allen Parlamen–

ten der Weit.

Auch andernorts erkannte

man den Nutzen der Kurz–

schrift. So eroberte sich die

neue Schreibtechnik schnell

die Kanzleistuben der Ämter.

Einen wahren Siegeszug aber

trat sie in der Geschäftswelt an

und leistete dort gerade für

Frauen

einen

ungeahnten

Emanzipationsschub. Als man

nämlich Ende des 19. Jahrhun–

derts Kurzschriftkurse für sie

einrichtete, stand ihnen damit

erstmals neben der Fabrikarbeit

auch höherwertige und angese–

hene Tätigkeit in Kontoren und

Büroräumen offen. Der neue

Berufsstand der Sekretärin und

Stenotypistin war geboren .

Bald finden wir dann auch

die Stenographie auf dem Stun–

denplan der Schulen. An Bay–

erns Gymnasien hielt sie schon

vor über 100 Jahren ihren Ein–

zug. Heute bieten nahezu alle

beruflichen und allgemeinbil–

denden Schulen Kurzschrift an,

entweder als Pflichtfach oder

im Wahlunterricht

· Und hier haken oft die Kriti–

ker ein. Für sie ist Stenographie

ein Relikt aus der Mottenkiste

vergangener Jahrhunderte. Im

modernen, vollelektronischen

Büro unserer Tage werde nie–

mand mehr zum Diktat geru–

fen, sagen sie. Mit dem Stöpsel

im Ohr überträgt die Phonoty–

pistin die "Stimme ihres Herrn"

direkt in die Schreibmaschine.

Warum soll man also Kinder

noch Stenographie lernen las–

sen? Wer so fragt, sollte als

stes die Stellenanzeigen ein