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ndervogels zu Beginn unseres Jahrhunderts.

on

lies Große fängt

ein an. Was später

e Welt bewegt und

as

Denken der

enschen in ganz

neue Bahnen lenkt, kommt oft

durch die Hintertür oder flattert

als kleiner Brief ins Haus. So

war es auch bei einer Revolu–

tion, von der hier erzählt wird.

Sie veränderte von Grund auf

alles, was mit Jugend zu tun

hat, und gab der Schulweit ein

neues Gesicht.

Der unscheinbare Brief, der

den Stein ins Rollen brachte,

traf im Frühjahr 1901 am Gym–

nasium in Steglitz ein, einem

Berliner

Vorort.

Der Absender

hieß Karl Fischer. Er war ein

Student, der im Jahr vorher das

Abitur hier gemacht hatte.

Nun trug er seinen ehemali–

gen Lehrern eine Bitte vor: Man

möge ihm erlauben, an Wo–

chenenden oder schulfreien Ta–

gen mit einigen Gymnasiasten

Wanderungen zu machen.

Ohne Widerspruch geneh–

migte das Lehrerkollegium den

Antrag. "Wandervogel" nannte

sich die

Schülersch.ar

, die nun

mit Kar! Fischer an jedem freien

Tag der Großstadt fröhlich den

Rücken kehrte.

Mit Fidel und Gitarre unterm

Arm, mit Kochtopf, Zeltplane

und Wolldecke im Rucksack

zog sie hinaus. Man kochte am

Lagerfeuer, kampierte unter

freiem Himmel, in Bauern–

scheunen und Burgruinen.

Zuerst ging es nur in die

waldgrüne Seenlandschaft rings

um Berlin. Dann steckte man

die Ziele weiter, ging in den Fe–

rien auch auf große Fahrt,

streifte durchs Mittelgebirge

oder ostdeutsche Grenzland,

durch Lausitz und Lüneburger

Heide, kam bis nach Böhmen

und Schlesien.

Was der Student Karl Fischer

mit den Steglitzer Gymnasia–

sten begonnen hatte, wirkte

wie ein Startschuß, der tau–

sendfaches Echo fand.

Von

Schleswig bis zum Alpenrand

schlossen sich Schüler nun zu

freien Bünden nach dem

Vor–

bild des Steglitzer Wandervo–

gels zusammen.

Wie ein Naturereignis wuchs

so aus dem Nichts die deutsche

Jugendbewegung empor. Rund

zehn Jahre nach den Anfängen

in Berlin hatte sie schon 60000

Anhänger.

Wie vielfältig die Namen die–

ser neuen Gemeinschaften und

Bünde auch waren, alle einigte

die Freude am Wandern. Es

drängte sie in die freie Natur,

sie suchten dort das Volkstümli–

che, sehnten sich nach dem

Einfachen und Echten.

Wer das verstehen will, muß

die Welt kennen, aus der diese

Jugend aufbrach. Er muß vor al–

lem auch einen Blick in den

Schulbetrieb der Zeit vor dem

1. Weltkrieg tun. Zweierlei ver–

langte man von den Schülern:

Zunächst ein Höchstmaß an .

äußerer Disziplin. Daneben be–

herrschte das mechanische

Auswendiglernen alles. Auf

weiten Strecken bestand der

Unterricht nur im Anhäufen

von Buchwissen.

Das Verstehen geistiger Zu–

sammenhänge, selbständiges

Denken, die Frage nach Ursa–

chen und Wirkungen gehörten

nicht ins pädagogische Pro–

gramm. Statt dessen zog sich

ein öder Paukbetrieb durch alle

Fächer. Die Kluft zwischen die–

ser Wilhelminischen Lernschule

und dem echten Leben draußen

war unüberbrückbar.

Was die Schule damals nicht

im Programm hatte, das fand

die Jugend bei den Wandervö–

geln. Großstadtkinder erlebten

hier zum ersten Mal Natur und

Heimat, ihre Schönheit, ihre

Vielfalt und Geschichte. Man

entdeckte einfache, naturnahe,

unverbildete Menschen und er–

schloß sich so eine neue Welt.

Die Fahrten durch das Land,

die romantischen Nächte am

Lagerfeuer waren also kein

Selbstzweck. Es war der

Ver–

such einer ganzen Generation,

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