Materialien
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16
Hitlers
Mein Kampf
– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit
Der Begriff „Arier“ – die Kommentierung der kritischen Edition
Methodische Anregungen:
Der vorliegende Auszug wird nicht nur wegen der zentralen Aussagen, sondern auch wegen mancher stilistischer Kap-
riolen oft zitiert. Um diesen Text, aber auch um andere Auszüge zu erschließen, bietet sich zum Beispiel die Arbeit mit
Strukturlegekarten an. Die einzelnen Aussagen können zentralen Kategorien wie Rasse, Gewalt, Raum und Diktatur
zugeordnet werden. Dies kann u.U. auch durch mehrfarbige Markierungen im Text erfolgen.
Leitfragen:
Welche vermeintlichen Naturgesetze beschreibt Hitler?
An welcher Stelle wechselt er in seinem Text von der Tierwelt in die Menschenwelt?
In welchem Verhältnis sieht er menschliches und tierisches Leben?
Wer ist im Text mit „wir“ gemeint? Wie werden die anderen Menschen bezeichnet?
Wie charakterisiert Hitler den „Arier“?
Welche Informationen zum Begriff „Arier“ liefert der Kommentar?
Wie unterscheidet sich Hitlers Begriffsverständnis von den im Kommentar beschriebenen wissenschaftlichen Kriterien?
Kommentar:
20 Der Begriff »Arier« (Sanskrit: àrya = Edler) war ursprünglich eine sprachwissenschaftliche Bezeichnung für
die indogermanischen Bewohner Persiens und Vorderindiens, deren Vorfahren wahrscheinlich aus dem Kaukasus
und aus dem heutigen Südrussland eingewandert waren. Angehörige dieser Völker nannten sich selbst »Arier«,
so in Indien die Mitglieder der oberen Kasten. Ende des 18. Jahrhunderts stellte der britische Sprachforscher
William Jones fest, dass das altindische Sanskrit nicht nur mit dem Griechischen und Lateinischen, sondern auch
mit dem Gotischen und Keltischen verwandt war. Besonders unter deutschen Dichtern und Philosophen wie
Johann Gottfried Herder und Friedrich Schlegel verbreitete sich daraufhin die Vorstellung, Indien sei die Wiege
der Menschheit. Schlegel machte den Begriff »Arier« 1819 populär und setzte ihn mit »indogermanisch« bzw.
»indoeuropäisch« gleich. Deutsche Gelehrte wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel und der in England lebende
Sprachwissenschaftler Friedrich Max Müller schlossen dann ebenso wie französische Geisteswissenschaftler (Jules
Michelet, Ernest Renan) von einer Sprach- auf eine Rassenverwandtschaft der Völker. Ende des 19. Jahrhun-
derts waren die Begriffe »Arier« und »arische Rasse« weitverbreitet, auch unter Anthropologen und Archäologen.
Zugleich vertratenWissenschaftler wie der österreichische Gelehrte Karl Penka die Ansicht, die »Arier« stammten
ursprünglich nicht aus Indien, sondern aus Südskandinavien oder Norddeutschland. Von hier aus hätten sie
sich über Europa bis nach Asien ausgebreitet. Diese Theorie setzte sich um 1900 durch. Viele Wissenschaftler
sprachen nun nicht mehr von einer »arischen«, sondern von einer »nordischen Rasse«, wenn sie das angeblich
blonde, blauäugige und »langschädelige« indogermanische Urvolk meinten – so auch Hans F. K. Günther, der
die Bezeichnung »arisch« für die »nordische Rasse« als »Fehlbezeichnung« ablehnte und »dringend« davon abriet,
den Begriff »arische Rasse« zu gebrauchen. Andere Autoren verwendeten hingegen weiterhin das Wort »Arier«,
was zu einer völligen Unschärfe des Begriffs führte. Hitlers völkischer Konkurrent Otto Dickel schrieb dazu
1921: »Mit dem Worte Arier wird heute reichlich verschwenderisch umgegangen. Dadurch werden die Begriffe
aller derer, die weder Zeit noch Gelegenheit haben, sich ein Urteil zu bilden, verwirrt. Der Begriff Arier ist wissen-
schaftlich scharf umgrenzt. Er darf nur auf Indier [
sic!
] und Perser, niemals auf Germanen, Griechen und Römer
bezogen werden […].« Obwohl Hitler Dickels Buch gelesen hatte, bevor er
Mein Kampf
verfasste, und obwohl zu
dieser Zeit auch Anthropologen das Wort »Arier« als Rassenbezeichnung ablehnten, entwickelte es sich zu einem
Schlüsselbegriff des Dritten Reichs, wobei es zunehmend zu einem bloßen Synonym für »Nichtjude« wurde.
Vgl. JÄCKEL/KUHN (Hrsg.), Hitler, Dok. 262; DICKEL, Auferstehung, Zitat S. 66; GÜNTHER, Rassenkunde (1923), S. 27, 278; LUTZ-
HÖFT, Gedanke, bes. S. 114–118; TYRELL, Trommler, S. 118; POLIAKOV, Mythos, S. 209–294; SEE, Arier-Mythos, S. 56–76; SCHMITZ-
BERNING, Vokabular, S. 54–62.
Quelle: KE, Bd. 1, S. 744.