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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Hitlers

Mein Kampf

– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit

Methodische Anregungen:

Die kritische Edition stellt akribisch gegenüber, wie Hitler wichtige Stationen in seinem Lebenslauf beschreibt und wie

sie sich tatsächlich zugetragen haben. Es bietet sich daher ein direkter Vergleich von Text und Kommentar an, der auch

arbeitsteilig, etwa als Gruppenarbeit, durchgeführt werden kann. Die Beispiele sind so gewählt, dass nicht nur die Stili-

sierung des eigenen Lebenslaufs deutlich wird, sondern dass auch die Gründe dafür erörtert werden können.

Leitfragen:

Welche persönliche Erfahrung stellt Hitler in seinem Text dar und welche Bedeutung misst er ihr bei?

Wie stellt der Kommentar den Sachverhalt dar? Welche Übereinstimmungen und welche Abweichungen gibt es?

Welche Absichten verfolgt Hitler mit seiner Art der Darstellung? Handelt es sich um bloße Erinnerungsfehler oder um

nachträgliche bewusste Heroisierungen?

Drittes Beispiel: Herausbildung des Antisemitismus

Mein Kampf:

Wien aber war und blieb für mich die schwerste, wenn auch gründlichste Schule meines Lebens. Ich hatte

diese Stadt einst betreten als ein halber Junge noch und verließ sie als still und ernst gewordener Mensch.

276

Ich erhielt in ihr die Grundlagen für eine Weltanschauung im großen und eine politische Betrachtungsweise

im kleinen, die ich später nur noch im einzelnen zu ergänzen brauchte, die mich aber nie mehr verließen. Den

rechten Wert der damaligen Lehrjahre vermag ich freilich selber erst heute voll zu schätzen. Deshalb habe ich

diese Zeit etwas ausführlicher behandelt, da sie mir gerade in jenen Fragen den ersten Anschauungsunterricht

erteilte, die mit zu den Grundlagen der Partei gehören, die aus kleinsten Anfängen entstehend, sich im Laufe

von kaum fünf Jahren zu einer großen Massenbewegung zu entwickeln anschickt.

277

Ich weiß nicht, wie meine

Stellung zum Judentum, zur Sozialdemokratie, besser zum gesamten Marxismus, zur sozialen Frage usw. heute

wäre, wenn nicht schon ein Grundstock persönlicher Anschauungen in so früher Zeit durch den Druck des

Schicksals – und

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eigenes Lernen sich gebildet hätte.

278

Quelle: KE, Bd. 1, S. 367/369.

Kommentar:

278 Auch diese Aussage ist eine nachträgliche Stilisierung, wie etwa die Forschung zur Kardinalfrage, wann

Hitler zu dem radikalen Antisemiten wurde, als der er sich nach 1918 präsentierte, belegt hat. Hitlers Behaup-

tungen in

Mein Kampf

widersprechend hat Brigitte Hamann überzeugend nachgewiesen, dass Hitler in sei-

ner Wiener Zeit wahrscheinlich freundschaftlich mit Juden verkehrte – zumindest geschäftlich. Selbst wenn

sich hierzu kaum einschlägige Quellen erhalten haben, deutet nichts darauf hin, dass bereits vor 1914 ein

ausgeprägter Judenhass charakteristisch für Hitlers Vorstellungswelt gewesen sei. Ergänzt und weitergeführt

wurden Hamanns Ergebnisse durch Thomas Weber für die Zeit des Ersten Weltkriegs; auch für diese Phase

»ist keine Politisierung oder Ideologisierung nachweisbar, die über das übliche Maß in Hitlers 16. Reserve

Infanterie-Regiment hinausgegangen wäre«. Vielmehr habe Hitler »bei Kriegsende im Jahr 1918 noch keine

klare politische Ideologie« besessen. Anton Joachimsthaler, Ralf Georg Reuth und Othmar Plöckinger konn-

ten nachweisen, wie sich Hitlers Antisemitismus erst in der Zeit 1918/19 unter dem Eindruck von Niederlage,

Novemberrevolution und Räterepublik dauerhaft verfestigt hat.

Vgl. HAMANN, Wien, S. 496–503; JOACHIMSTHALER, Weg, S. 198–319, bes. S. 244; REUTH, Judenhass; WEBER, Krieg, bes. S. 440–452,

Zitat S. 466; PLÖCKINGER, Soldaten, Zitat S. 11.

Quelle: KE, Bd. 1, S. 368.