77
Einsichten und Perspektiven 1 | 18
unvorstellbaren Welle an Gewalt, die bis 1983 über drei-
ßig Menschenleben forderte. Mit dem sogenannten Okto-
berfest-Attentat vom 26. September 1980 hatte Mün-
chen den schwersten rechtsextremistischen Anschlag seit
Gründung der Bundesrepublik zu vermelden. Die Gewalt
richtete sich in den Folgejahren zunehmend gegen Mig-
ranten. Zwei vietnamesische Flüchtlinge, die im August
1980 nach einem Brandanschlag der rechtsterroristischen
„Deutschen Aktionsgruppen“ auf ein Hamburger Wohn-
heim starben, waren die ersten offen fremdenfeindlich
motivierten Todesopfer in der bundesrepublikanischen
Geschichte.
Neben der NPD schürten besonders die 1983 in Mün-
chen gegründeten „Republikaner“ (REP) unter Franz
Schönhuber die Angst vor „Überfremdung“. Mit ihrer
rechtspopulistischen, ausländerfeindlichen Agitation er-
zielten sie beachtliche Wahlerfolge und konnten 1989
ins Europaparlament einziehen. Gerhard Freys 1987 zur
Partei umgewandelte DVU konnte mit nationalistischen,
fremdenfeindlichen Inhalten nach der deutschen Wie-
dervereinigung vor allem im Osten Deutschlands punk-
ten. Die Gewalt von rechts außen erreichte einen neuen
Höchststand. Sie richtete sich gegen Migranten, „Linke“,
Obdachlose, Homosexuelle und andere Menschen, die mit
ihrer Lebensweise nicht in das Weltbild der Täter passten.
Gewaltsame Ausschreitungen und Brandanschläge gegen in
Deutschland lebende Ausländer in Hoyerswerda, Rostock-
Lichtenhagen, Mölln und Solingen kosteten acht Menschen
das Leben und wurden über die Grenzen Deutschlands hin-
aus zu Synonymen eines entfesselten Fremdenhasses.
Nach zahlreichen Vereins- und Organisationsverboten
organisierte sich die rechtsextreme Szene seit den 1990er
Jahren vermehrt in sogenannten Freien Kameradschaften.
Als Keimzelle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“
(NSU) erlangte die „Kameradschaft Jena“ im „Thüringer
Heimatschutz“ traurige Bekanntheit. Der aus rassisti-
schen Gründen mordenden Terrorgruppe fielen zwischen
2000 und 2007 zehn Menschen, fünf davon in Bayern,
zum Opfer. Seit 2013 wird ihr in München der Prozess
gemacht. Mitglieder der 2001 entstandenen „Kamerad-
schaft Süd“ planten 2003 ein Bombenattentat auf die
Grundsteinlegung des „Jüdischen Zentrums am Jakobs-
platz“ in München, das jedoch rechtzeitig vereitelt werden
konnte. Die Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen
Szene steht außer Frage. Hass und Gewalt gegen „Fremde“
und deren Unterstützer scheinen heute aber auch in der
Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Hassrede im
Internet oder auf „Pegida“-Demonstrationen, gewaltsame
Übergriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte (2016
waren es rund 3.500, 2017 rund 2.200), begangen von
zuvor nicht auffällig gewordenen Bürgerinnen und Bür-
gern, sind Anzeichen dafür, dass rechtsextremes Gedan-
kengut und Aufrufe zur Gewalt zunehmend in der bürger-
lichen Mitte Anschluss finden.
Diese Anschlussfähigkeit völkisch-rassistischen Gedan-
kenguts bis in die Mitte der Gesellschaft, die von rechts-
extremen Parteien und Organisationen propagandistisch
genutzt wird, thematisiert der zweite Teil der Ausstellung.
Er ist der rechtsextremen Ideologie gewidmet, die im Kern
eine Ideologie der Ungleichheit ist. Sie geht von der Über-
legenheit der eigenen Gruppe, des eigenen Volkes, der
eigenen Nation aus und wertet andere Gruppen, Völker,
Nationen als unterlegen oder „minderwertig“ ab. Damit
steht sie in krassemWiderspruch zu den Grund- und Men-
schenrechten, die demGleichheitsprinzip verpflichtet sind.
2016 verfügten 5,4 Prozent der Deutschen über ein
geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Einzelne Bestand-
teile rechtsextremer Weltanschauung aber sind heute weit
in die bürgerliche Gesellschaft vorgedrungen. So neigen
Rechtsextremismus revisited. Die Sonderausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch."
Aufruf der von der NPD organisierten „Bürgerinitiative Ausländerstopp“,
Regionalverband Süd, zur Unterzeichnung einer Bundestagspetition „Aus-
länderstopp jetzt!“, um 1982
Quelle: StadtAM, ZS-17/1