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Einsichten und Perspektiven 1 | 18

lionen Juden wurden zu wenig vergast!“ und ergeht sich

in antisemitischen Vernichtungsphantasien. Schändungen

jüdischer Friedhöfe und Synagogen, früh gipfelnd in der

sogenannten antisemitischen Schmierwelle von 1959/60,

die Leugnung des Holocaust und die Verbreitung anti-

semitischer Verschwörungstheorien bilden eine traurige

Konstante in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der parteimäßig organisierte Rechtsextremismus blieb

nach dem Verbot der in der Tradition des Nationalsozialis-

mus stehenden „Sozialistischen Reichspartei“ 1952 durch

den Bundesverfassungsgerichtshof – es war das bislang

einzige Verbot einer rechtsextremen Partei – ein gutes Jahr-

zehnt lang ein nahezu bedeutungsloses Randphänomen.

Im politischen Vorfeld jedoch entstanden seit den 1950er

Jahren verschiedenste Zusammenschlüsse und Vereini-

gungen der extremen Rechten, die teils über Jahrzehnte

wirksam blieben. Beispielhaft sei hier nur die bereits 1952

gegründete „Wiking-Jugend“ genannt, die bis zu ihrem

Verbot 1994 nach dem Vorbild der „Hitler-Jugend“ rechts-

extremistische Jugenderziehung betrieb. Aus ihr gingen

führende Persönlichkeiten der extremen Rechten wie der

NPD-Politiker Udo Pastörs hervor. Auch der Oktoberfest-

Attentäter Gundolf Köhler hatte ihr angehört. Der letzte

Vorsitzende der „Wiking-Jugend“, Wolfram Nahrath, ist

heute als Anwalt der rechten Szene tätig; im Münchner

NSU-Prozess verteidigt er Ralf Wohlleben.

Die erstrebte „nationale Sammlung“ der extremen

Rechten gelang erst Mitte der 1960er Jahre, als die „Natio-

naldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) die zer-

splitterte Parteienlandschaft rechts der Unionsparteien zu

integrieren vermochte. In der Zeit der Großen Koalition

(1966-1969), als eine starke Opposition fehlte, und unter

dem Eindruck von Liberalisierung und Studentenprotes-

ten gewann die NPD rasch Zulauf und erzielte mit einem

rigiden Antikommunismus, militanten Nationalismus

und reaktionärer Propaganda ungeahnte Wahlerfolge, die

ihr Sitze in sieben Länderparlamenten bescherten. Der

Einzug in den Bundestag 1969 misslang nur knapp. Die

Regierungsübernahme durch SPD und FDP im selben

Jahr, die bei den Unionsparteien eine Öffnung nach rechts

bewirkte, ließen die von inneren Auseinandersetzungen

zerrissenen Nationaldemokraten dann bald bedeutungslos

werden. Erst 2004 gelang ihnen bei den sächsischen Land-

tagswahlen wieder der Sprung in ein Länderparlament.

Nach dem Niedergang der NPD nahm die politische

Auseinandersetzung neue Formen an. Die militante Rechte

ging von der parlamentarischen Opposition zum aktionis-

tischen und zunehmend gewaltsamen „nationalen Wider-

stand“ über, der sich insbesondere gegen die neue Ostpo-

litik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) richtete. In

München sammelte der rechtsextreme Verleger Gerhard

Frey alle einschlägigen Gruppierungen parteiübergreifend

1971 in seiner „Deutschen Volksunion“ (DVU) und rief

zum Kampf gegen Brandt auf. In Abgrenzung zu den Alt-

Rechten und ehemaligen Nationalsozialisten im Umkreis

der NPD entstand nun eine „Neue Rechte“ mit „natio-

nalrevolutionären“ Ideen, aus der sich nicht zuletzt heute

die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ speist. Zugleich

bildeten sich am äußersten rechten Rand gewaltbereite

terroristische und paramilitärische Gruppierungen wie

Karl-Heinz Hoffmanns „Wehrsportgruppe Hoffmann“

oder Manfred Roeders „Deutsche Aktionsgruppen“ sowie

offen neonazistische Bewegungen wie Michael Kühnens

„Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ oder Friedhelm Bus-

ses „Volkssozialistische Bewegung“. 1979 kam es zu 1.483

rechtsextremistisch motivierten Ausschreitungen, davon 93

Gewalttaten – das war der höchste Stand seit 1945.

Die angestaute Aggression der militanten Rechten

entlud sich Anfang der 1980er Jahre in einer bis dahin

Rechtsextremismus revisited. Die Sonderausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch."

Ankündigung einer NPD-Wahlkundgebung mit Otto Heß, dem Neffen von

Rudolf Heß, in München, 21. Mai 1965

Quelle: StadtAM, PL 25335