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Das Frauenstimmrecht in der Schweiz – Geschichte eines scheinbaren Anachronismus

Einsichten und Perspektiven 1 | 18

Befürworterinnen des Frauenstimmrechts gaben sich in

der Phase des Kalten Kriegs dazu her, gegen ihre Interes-

sen zu votieren. Sie wollten nicht den geringsten Zweifel

darüber entstehen lassen, dass sie sich mit aller Kraft den

Schweizer Kommunisten als „Wühlmäusen“ der Sowjet-

union entgegenstellten. So gaben einige Frauenvereine

anlässlich von Volksinitiativen zum Frauenstimmrecht, die

von der kommunistischen Partei der Arbeit lanciert wur-

den, sogar selbst die Nein-Parole aus. Nicht so der Frau-

enstimmrechtsverband, der dem Trend zu trotzen wagte.

Er fand allerdings unter jungen Frauen nur noch wenig

Unterstützerinnen. In der Hochkonjunktur orientierten

sich diese verstärkt am

American Way of life

, der eher das

Leitbild der für das Wohl der Familie engagierten, kon-

sumfreudigen sowie modernen Hausfrau favorisierte. Die

Priorität dieser Frauenrolle stellte kaum jemand in Frage.

So verfolgten auch die Frauenverbände nun die Strategie,

niemanden mit einem streitbaren Auftritt zu provozieren,

sondern mit Aufklärungsarbeit und Anpassung an norma-

tive Erwartungen um die Gunst der Männer zu werben.

Doch nicht alle Frauenrechtlerinnen waren mit dieser

Zurückhaltung einverstanden. Als nun der Bundesrat im

Zeichen des allgemeinen Wehrwillens auch die Frauen in

einen obligatorischen Zivildienst einbinden wollte, erhob

sich unter einem Teil von ihnen ein Sturm der Entrüstung,

da sie sich zu einem Geschäft, das sie betraf, nicht mal an

der Urne äußern konnten. Kategorisch verweigerten sie die

Übernahme neuer Pflichten ohne Rechte. Peter von Roten

ließ in ihrem Namen bei einem sozialdemokratischen Bun-

desrichter ein rechtliches Gutachten über die Zulässigkeit

der Eintragung der Frauen in die Stimmregister erstellen.

Dem positiven Gutachten entsprechend organisierten

einige wenige Gemeinden in der französischen West- und

italienischen Südschweiz auf Initiative der Stimmrechts-

verbände die Beteiligung an dieser Abstimmung. Für das

größte Aufsehen sorgte die kleine Bergbauerngemeinde

Unterbäch, die unter von Rotens Ägide entschied, den

Frauen den Gang zur Urne zu erlauben. Das mediale Echo

war enorm und reichte bis nach New York.

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1959 – erneuter Sieg eines selbstgefälligen Patriarchats

Unter dem Druck der Reaktionen auf die Zivildienst-

vorlage sah sich der Bundesrat zur Beschleunigung in der

Organisation der ersten Abstimmung über das Frauen-

stimmrecht genötigt. Im Parlament war 1958 die Zustim-

20 May B. Broda: „Wenn Männer für Frauen motzen. Ein politisches Lehr-

stück zur Einführung des Frauenstimmrechts“, in: Frauen und Staat (wie

Anm. 5), S. 53-76.

mung zur Durchführung einer solchen Abstimmung nur

vordergründig, da sich einige Gegner der Stimme enthiel-

ten. Sie waren sich sicher, dass die Vorlage an der Urne

abgelehnt würde, und wollten sie deshalb vor das Männer-

volk bringen. Die das Frauenstimmrecht effektiv befür-

wortenden Männer blieben im Parlament in der Minder-

heit. Auch der Bundesrat ergriff nicht offen Partei, sondern

hielt sich zurück. So wurden in seiner Botschaft nicht nur

die befürwortenden Argumente, sondern ebenso stark die

Argumente der Gegner hervorgehoben: Die Frauen sel-

ber wollten demnach das Stimmrecht gar nicht, verstün-

den nichts von Politik, leisteten keinen Militärdienst und

gehörten ins Haus.

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Unterstützung erhielten sie von den

Komitees gegen das Frauenstimmrecht, die u. a. prokla-

mierten, die Frau sei „durch die Emanzipation vielmehr

zum Handlanger des männlichen Geistes geworden“.

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Die Frauenverbände, inzwischen auch der Schweize-

rische katholische Frauenbund, setzten sich im Vorfeld

21 Yvonne Voegeli: Frauenstimmrecht und politisches System der Schweiz,

in: Frauen und Staat (wie Anm. 5), S. 33–37.

22 Vaterland v. 10.11.1958.

Iris von Roten: „Frauen im Laufgitter"

Foto: Joris