Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 226

storischen Wahrheit steht die in sowjetischen Zeitschriften
aufgestellte Behauptung, daß das angeblich von den Kom-
munisten verschuldete Fehlen der Einheitsfront Ursache
für die Machtergreifung Hitlers gewesen sei. Dabei erklär-
te man, Kommunisten und Sozialdemokraten hätten nicht
gemeinsam handeln können, da die KPD unter Ernst Thäl-
mann gegen eine solche Einheitsfront gewesen sei. Aus ei-
genem Erleben heraus könne er sagen, daß die KPD sogar
mit Schleicher, dem letzten Reichskanzler derWeimarer Re-
publik, im Kontakt stand, da man wusste, daß Hitler das
deutsche Volk in die Katastrophe führt. Auch diese Haltung
habe gezeigt, daß die Kommunisten sehr wohl zur Ein-
heitsfront bereit waren.“
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Der letzte DDR-Botschafter in
Moskau bewertete rückblickend den Vorgang als Zeichen
und Ausdruck der „Ratlosigkeit und Ohnmacht des Polit-
büros der SED, wie die Auswirkungen der sowjetischen Po-
litik der Glasnost von der DDR ferngehalten werden könn-
ten“.
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Die sowjetische Seite reagierte verärgert über das
Verbot ihrer Zeitschrift. Erstmals wurde mit dieser Maß-
nahme der DDR-Bevölkerung der tiefe Bruch zwischen
Moskau und Ostberlin-Berlin vor Augen geführt. Honek-
ker wollte keine Veränderungen in der DDR – das war die
Botschaft.
Nach diesem Pyrrhussieg an der ideologischen
Front gegen den sowjetischen Geschichtsrevisionismus,
konnte Honecker die Feier zum 70. Jahrestag der Gründung
der KPD, dem Auftakt für die Feierlichkeiten zum 40. Jah-
restag der DDR, genießen. Gemeinsam mit Honecker hat-
ten die Vorsitzenden der Deutschen Kommunistischen Par-
tei (DKP) der Bundesrepublik und der Sozialistischen Ein-
heitspartei West-Berlins (SEW) in der Ehrenloge der
Staatsoper Platz genommen. Honecker hatte 1986 Gorba-
tschow erklärt, „imGrunde genommen sind wir ja eine Par-
tei in drei Ländern,
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und Herbert [Mies] könnte seinen
Stuhl in unserem Politbüro jederzeit einnehmen, so wie ihn
Max Reimann
90
gehabt hat“.
91
Mit dieser Feier demons-
trierten die drei Parteivorsitzenden gleichzeitig die Existenz
Deutschlands trotz seiner staatlichen Teilung. Mit
diesem Festakt unterstrich die SED demonstrativ im Selbst-
verständnis Honeckers ihren Führungsanspruch in der
DDR, der mit den Thesen des Zentralkomitees zur Grün-
87 Gespräch Honecker-Bilak (wie Anm. 67), Bl. 162–163.
88 König (wie Anm. 4), S. 214.
89 Die DDR, die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin.
90 Max Reimann, Vorsitzender der KPD in der Bundesrepublik, nahm bis 1970 an den Politbüro-Sitzungen der SED teil, sodass intern klar
war: KPD und SED sind eine Partei.
91 Gespräch M. Gorbatschow mit E. Honecker, H. Mies und H. Schmitt am 3. Oktober 1986 in Moskau, in: Daniel Küchenmeister/Gerd-Rü-
diger Stephan (Hg.): Honecker-Gorbatschow: Vieraugengespräche, Berlin 1993, S. 60.
92 Louis Fürnberg: Die Partei, in: Deutsche Akademie der Künste zu Berlin: Lieder der Partei, Zu Ehren des 15. Jahrestages der Vereinigung
der beiden Deutschen Arbeiterparteien, Leipzig, o. J. [1961] S.150.
93 Zitiert nach: Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009, S. 303.
94 Die Geheimrede Chruschtschows. Über den Personenkult und seine Folgen, Berlin 1990.
95 Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen, Berlin 2012, S. 82.
Abgrenzung: die SED und Gorbatschows Geschichtspolitik
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dung der KPD historisch untermauert wurde. Zum Ab-
schluss des Festprogramms sang ein Veteranenchor der SED
das Lied „Die Partei“:
„Die Partei, die Partei, die hat immer recht. Genossen, es
bleibt dabei! Denn wer für das Recht kämpft, hat immer
recht gegen Lüge und Heuchelei!“
92
Das „Recht auf Erinnerung“ kehrt in die
DDR zurück
Die Verteidigung des Machtmonopols seiner Partei gegen
Kritik an den Verhältnissen in der DDR durch die sich for-
mierende Opposition im Inneren und den Geschichtsrevi-
sionismus der Sowjetunion stand für Honecker 1988 imVor-
dergrund. 1989 setzte er den Weg der Abgrenzung unbeirrt
fort. Die Bundesrepublik und die USA waren für ihn ver-
antwortlich, „dass die DDR 1961 den ,antifaschistischen
Schutzwall‘ habe bauen müssen und noch gebe es keine
Gründe, daran etwas zu ändern: „Die Mauer wird […] so-
lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden,
die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird in 50, auch
in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhan-
denen Gründe noch nicht beseitigt sind.“
93
Im Laufe weni-
ger Monate änderten sich die Bedingungen in der DDR
selbst gründlich. Auf die Fluchtwelle nach Ungarn fand die
SED keine Antwort und in Leipzig wurde am 9. Oktober
1989 durch die Montagsdemonstration die Demonstrations-
und Meinungsfreiheit in der DDR von unten durchgesetzt.
Egon Krenz stürzte Honecker als Generalsekretär der SED
und eine seiner ersten Maßnahmen als sein Nachfolger war
die Beendigung der Abgrenzungspolitik gegenüber dem so-
wjetischen Reformprozess. Anfang 1990 erschien im Partei-
verlag der PDS-SED erstmals Chruschtschows „Geheimre-
de von 1956“
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in der DDR. Honecker schrieb über ihreWir-
kung: „Die Generationen, die bis dahin ungetrübt und
vorbehaltlos an die gewaltige, vom Humanismus geprägte
Kraft der Sowjetunion glaubten, wurden zutiefst durch
Chruschtschow getroffen. Sie hatten auf einmal Fragen über
Fragen.“
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Neben Übersetzungen sowjetischer Autoren von
denHauptanklagen der Moskauer Schauprozesse der 1930er
Jahre, erschien auch eine Dokumentation über die Ausein-
209...,216,217,218,219,220,221,222,223,224,225 227,228,229,230,231,232,233,234,235,236,...284
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