Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 4/13) - page 228

„Weil ich Ihre Praktiken kenne. Wir begegnen uns doch
nicht zum ersten Mal. Außerdem liegt mir nichts daran,
Leute wie Sie überzeugen zu wollen.“
Der Bekannte sprang auf, warf die Zigarette weg
und kam bis auf einen Schritt heran. Erregt schrie er Janka
ins Gesicht: „Sie wollten die Staatssicherheit abschaffen. Be-
streiten Sie das?“
„Abschaffen ist zu viel gesagt. Verändern würde ich
sie, wenn ich es könnte, um genau zu sein. Ich würde sie
nicht gegen die Partei einsetzen. Gegen die eigenen Genos-
sen.“
„Erzählen Sie keinen Blödsinn. Die Konterrevolu-
tion wollten Sie, wie in Ungarn. Dort der Petöfi-Kreis, hier
der Aufbau-Verlag. Wollen Sie das bestreiten?“
Janka wischte sich mit dem Handrücken den Spei-
chel aus dem Gesicht und sagte: „Treten Sie bitte einen
Schritt zurück. Ich habe es nicht gern, wennmanmir ins Ge-
sicht spuckt.“
Janka wusste, dass er mit dieser Bemerkung den
mächtigen Mann vor seinen Untergebenen lächerlich mach-
te. Daß er das nicht verzeihen wird. Aber das war ihm
gleichgültig. Er betrachtete den „Bekannten“ seit Spanien
nicht mehr als seinen Genossen.“
100
Als das Buch erschien, war Erich Mielke noch Mi-
nister für Staatssicherheit, sodass Janka seinen Namen nicht
nannte, schließlich wohnte er in der DDR. Die Auseinan-
dersetzung mit Repression und politischer Justiz in der
DDR begann. Die Interessenlage der SED hatte sich funda-
mental geändert. Gezwungen, mit der Bürgerrechtsbewe-
gung zu versuchen, durch Demokratisierung die DDR als
Staat zu retten, verwandelten sich nun die gestrigen Partei-
feinde zuKronzeugen für die vertanenChancen zur Reform
des Sozialismus in der DDR. Ihre Rehabilitierung wurde
somit zum Gebot der Stunde. Am 17. November 1989 be-
schloss die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) un-
ter Vorsitz von Werner Eberlein, Sohn des 1937 im sowjeti-
100 Walter Janka: Schwierigkeiten mit der Wahrheit, Reinbek 1989, S. 73–74.
101 Neues Deutschland vom 17.11.1989.
102 Berliner Zeitung, 17.11.1989.
103 Zitiert nach: Christof Geisel/Christian Sachse: Wiederentdeckung einer Unperson. Robert Havemann im Herbst 89 – zwei Studien, Berlin
2000,S. 200.
104 Rudolf Herrnstadt (1903 -1960) war im Juni 1953 Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ und Kandidat des SED-Politbüros. Er wurde
zum Sündenbock für das Debakel der SED am 17. Juni 1953 gestempelt und 1954 aus der SED ausgeschlossen.
105 Adolf (Lex) Ende war im französischen Exil, von 1946–1949 Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, Herrnstadt wird sein Nachfolger,
zusammen mit Paul Merker wurde er 1950 aus der SED ausgeschlossen.
106 Neues Deutschland vom 30.11.1989, S. 20.
107 Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS; Protokoll der Beratungen am 8./9. und 16./17. Dezember 1989 in Berlin, hg. v. Lothar
Hombergen, Detlev Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan, Berlin 1999, S. 142.
Abgrenzung: die SED und Gorbatschows Geschichtspolitik
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schen Exil ermordeten Mitbegründers der KPD Hugo
Eberlein, „Maßnahmen zur Rehabilitierung derjenigen Ge-
nossen, die wegen ihrer Kritik an Fehlern und Missständen
in der Wirtschaftspolitik, der Medienpolitik, des Verbots
der Zeitschrift ‚Sputnik‘ usw. bestraft oder in anderer Wei-
se gemaßregelt wurden.“
101
Am gleichen Tag wurden Ernst
Bloch und Robert Havemann posthum wieder Mitglieder
der Akademie der Wissenschaften der DDR.
102
Am 23. No-
vember hob das Politbüro den Ausschluss von Janka aus der
SED von 1957 auf, und seine Parteimitgliedschaft seit 1930
wurde wiederhergestellt.
103
Fünf Tage vor demRücktritt des
ZK der SED fasste die ZPKK Beschlüsse zur Rehabilitie-
rung von Robert Havemann, Rudolf Herrnstadt
104
und Lex
Ende
105
.
106
Öffentlich waren dies nur noch Korrekturen der
Parteigeschichte, die auf den politischen Prozess in der
DDR keinen Einfluss mehr ausübten. Allerdings wurden sie
noch von der SED für ihre Transformation zur „Partei des
Demokratischen Sozialismus“ benötigt. Die Rehabilitierten
mussten den endgültigen Bruch der Partei mit dem Stalinis-
mus beglaubigen. Erstmals auf einem Parteitag der SED
setzte man sich mit den Fragen auseinander, was der Stali-
nismus war und welche Folgen er für die Struktur der kom-
munistischen Partei und für die Gesellschaft der DDR hat-
te. Der Parteitag entschuldigte sich auch gegenüber dem
Volk, „dass die ehemalige Führung der SED unser Land in
diese Existenz gefährdende Krise geführt hat.“
107
Die Ursa-
chen für die Krise und den „Machtmissbrauch“ von Ho-
necker und seiner Führung suchte Michael Schumann in
dem „Geflecht von Strukturen gegenwärtiger Apparate und
einer Rechtfertigungsideologie. […] Die Symptome dieses
Machtmissbrauchs liegen inzwischen offen zu Tage. Kon-
zentration der Macht in den Händen eines arroganten Al-
leinherrschers, Steuerung der Wirtschaft durch eine Kom-
mandozentrale, der es an Verständnis für elementare Be-
dürfnisse der produktiven und sozialen Bereiche der
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