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Seele des Menschen sei bei der Ge–

burt weiß wie Neuschnee und psychi–

sche Störungen seien daher aus–

schließlich durch Umwelteinflüsse

bedingt, noch hat es einen Sinn, die

Ursachen allein in den Erbanlagen zu

suchen. Die Wahrheit liegt sicher ir–

gendwo in der Mitte. Eine psychische

Störung kann schon bei der Geburt

des Menschen als Anlage vorhanden

sein, wobei es möglich ist, daß diese

Anlage durch die Umwelt gefördert

wird oder gar nicht zum Tragen

kommt. Aber Störungen können auch

durch bestimmte Erfahrungen und Er–

lebnisse ausgelöst :werden.

Wie findet ein Arzt heraus, welche

Ursachen letztlich verantwortlich

sind?

Dazu muß man wissen, daß ein Arzt

zunächst einmal nur Krankheitsmerk–

male oder Symptome feststellt. Ein

solches Symptom wäre zum Beispiel

die Konzentrationsschwäche eines

Kindes. Aber- und das ist zu beach–

ten- man kann einem Symptom nicht

ansehen, welche Ursachen es hat.

Die lassen sich nur in einem langen

Arbeitsprozeß herausfinden. Hier

kann es in Einzelfällen sogar notwen–

dig werden, daß sich ein Therapeut

zwanzig bis dreißig Stunden oder

mehr mit einem Kind, dessen Eitern,

in einigen Fällen auch mit den Ge–

schwistern beschäftigt.

Häufig offenbaren sich psychische

Störungen erst, wenn ein Kind in die

Schule kommt. Woran liegt das?

Am besten antworte ich da mit zwei

Beispielen: Bei einem Kind, das noch

nicht sch(eiben und lesen muß, blei–

ben die Anzeichen von Legasthenie

natürlich verborgen. Ähnlich liegt der

Fall bei einem hyperaktiven Kind,

das sich nicht wie andere Kinder kon–

zentrieren kann. Ein solches Kind ist

permanent unruhig, es kann einfach

nicht stillsitzen und aufpassen. Wenn

etwas an der Tür raschelt, dann rennt

es zur Tür. Wenn draußen ein Ge–

räusch zu hören ist, läuft es zum Fen–

ster usw. Alle Aktivität wird in Moto–

rik umgesetzt. Ein solches Verhalten

muß in der Schule fast zwangsläufig

auffallen und zu Schwierigkeiten füh–

ren. Insgesamt läßt sich sagen, daß

die Schule für viele Formen von Lern–

und Leistungsstörungen einfach der

Prüfstand ist.

Können Ihrer Meinung nach Kinder

mit lern- und Leistungsstörungen in

der Regelschule genügend gefördert

werden?

Am ehesten wird das möglich sem,

8 SCHULE

aktuell

wenn Schule und Elternhaus eng zu–

sammenarbeiten und in einer beglei–

tenden Therapie versucht wird, die

Störung zu heilen. Ich plädiere immer

dafür, daß ein Kind - solange es ir–

gendwie geht - in der Regelschule

bleibt. Aber natürlich spielt dabei

auch die Art und der Grad der Stö–

rung eine Rollei denn man muß ja

auch berücksichtigen, inwieweit die

anderen Kinder betroffen sind und

ein normaler Unterricht möglich ist.

Was halten Sie als Arzt in solchen

Fällen von einer Behandlung mit Me–

dikamenten?

Wir verfügen im Bereich der Psychia–

trie inzwischen über so wirksame

Medikamente, daß die Versuchung

manchmal groß sein mag, rasch zu

diesem oder jenem Medikament zu

greifen. Wir bemühen uns jedoch,

möglichst ohne Tabletten auszukom–

men und sie nur dann einzusetzen,

wenn es unbedingt notwendig

isti

denn Tabletten können eine notwen–

dige Psychotherapie nicht ersetzen.

Im Mittelpunkt unserer Behandlung

stehen deshalb Gespräche, Gesprä–

che und nochmals Gespräche. Im

Vergleich dazu treten Tabletten ganz

zurück. Andererseits darf man Medi–

kamente nicht verteufeln, in bestimm–

ten Fällen sind sie für die psychisch

kranken Kinder eine Wohltat.

Sind da nicht auch Nebenwirkungen

zu befürchten?

_

Natürlich müssen die Nebenwirkun–

gen möglichst gering sein, aber nicht

nur medikamentöse, auch heilpäd–

agogische und psychotherapeutische

,,DIE

SCHULE IST

FÜR VIELE

LERN· UND

LEISTUNGS·

STÖRUNGEN

EINFACH DER

••

PRUFSTAND.''

Maßnahmen können unliebsame Ne–

benwirkungen nach sich ziehen. Und

noch eines muß man sich klar ma–

chen: Wenn eine Behandlung mit

Medikamenten unumgänglich ist,

dann werden selbstverständlich nur

altersgemäße Dosen verordnet.

Glaubt man Zeitungsmeldungen,

dann werden Kindern bei Schulpro–

blemen häufig Beruhigungstabletten

verabreicht. Wie beurteilen Sie der–

artige Berichte?

Wir kennen zu unserem Leidwesen

auch Meldungen, in denen zu lesen

ist, daß bis zu 30 Prozent der Kinder

halbbetäubt in die Schule wanken.

Nach unseren statistischen Untersu–

chungen wird hier maßlos übertrie–

ben. Wir haben außerdem auf an–

onymer Basis mehrere hundert Lehrer

und Eltern befragt und dabei festge–

stellt, daß Aufputsch- und Beruhi–

gungsmittel weitaus seltener einge–

setzt werden, als es die Schreckens–

meldungen behaupten. Aber beson–

ders wenn man sich anschaut, wie oft

Ärzte solche Medikamente verschrei –

ben, kommt man zu dem Ergebnis,

daß die Zahlen in solchen Meldun–

gen extrem übertrieben sind. Aber

selbst wenn ein Mißbrauch nur selten

vorkommt, bedenklich ist er in jedem

Fall. Denn die Stimmung eines Kindes

darf man nicht durch Medikamente

verändern.

Haben Sie ein paar hilfreiche Tips für

Eltern, deren Kind unter Konzentra–

tionsschwierigkeiten leidet?

Patentrezepte gibt es da nicht. Wich–

tig ist, daß man sich über die Ursa-