Es gab Überlegungen, die Realschule
schon mit der 5. Jahrgangsstufe be–
ginnen zu lassen. Warum haben Sie
davon Abstand genommen?
Aus mehreren Gründen. Da ist zu–
nächst das emotionale Umfeld der
Hauptschule. Lehrerverbände und
betroffene Eltern haben übereinstim–
mend die Befürchtung geäußert, daß
eine Ausweitung der Realschule zum
Ausbluten, ja zum Tod der Haupt–
schule führen würde. Zwar bin ich
von diesem Argument nicht über–
zeugt, möchte aber einer Schulart,
die derzeit mit vielen Problemen zu
kämpfen hat, diese zusätzliche Her–
ausforderung nicht zumuten. Wichti–
ger erscheint mir der zweite, kommu–
nalpolitische Aspekt: Bei einem frü–
heren Übertritt an die Realschule
müßten bayernweit einige hundert
Teilhauptschulen mit 5. und 6. Klas–
sen geschlossen werden, so haben
neueste Berechnungen ergeben. Drit–
tens sollte man bedenken, daß es
auch sogenannte Spätzünder gibt, für
die es sehr gut ist, wenn man sich erst
nach der 6. Klasse für eine andere
Schulart entscheiden kann.
Das Thema Schulzeitverkürzung er–
hitzt nach wie vor die Gemüter. Wird
es in Bayern künftig ein 8jähriges
Gymnasium geben?
Als Philologe bin ich davon über–
zeugt, daß wir im Rahmen der
verfügbaren Jahreswochenstunden
in acht Jahren die bisherigen .Anfor–
derungen an das Abitur nicht halten
können. Allein wenn ich bedenke,
was in den letzten Jahren als Unter–
richtsstoff neu hinzugekommen ist,
angefangen von der Umwelterzie–
hung bis hin zur AIDS-Aufklärung.
Mehr zu machen in kürzerer Zeit, das
geht mit Computern, mit Maschinen,
aber nur bedingt mit Menschen. Be–
rücksichtigen muß man auch die ge–
sellschaftspolitischen Hintergründe.
Wenn es bei uns nicht das erklärte
Ziel gäbe, immer weniger zu arbei–
ten, so könnte man die Thematik ei–
ner höheren Wochenstundenzahl in
der Schule durchaus kühl erörtern,
wohlwissend, daß die Franzosen und
Spanier in zwölf Jahren mehr Unter–
richt haben als wir in dreizehn. Da
wir aber in bezug auf die Arbeitszeit–
verkürzung Weltmeister sind, halte
ich es für falsch, wenn die Schule
darauf keine Rücksicht nimmt.
Was bedeutet das konkret für das
Gymnasium?
Ich glaube nicht, daß wir generell ei–
ne Verkörzung der Gymnasialzeit auf
acht Jahre, die wir mit einer erhöhten
Wochenstundenzahl und mit Sams–
tagsunterricht bezahlen müßten, poli–
tisch realisieren könnten. Es ist also
für mich keine redliche und realisti–
sche Rechnung, oll dies auf den Weg
zu bringen. Das 9jährige Gymnasium
"Das Abitur
mußwieder
ein breiteres
Fundament ·
bekommen.
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wird daher auch künftig in Bayern die
Regel sein. Andererseits halte ich es
gerade angesichts der Regelungen in
den neuen Ländern für falsch - dort
kann man, Brandenburg ausgenom–
men, derzeit das Abitur ja in 12 Jah–
ren erreichen -, daraus ein Tabuthe–
ma zu machen. Ich möchte daher
innerhalb der bestehenden bayeri–
schen Gymnasien Möglichkeiten und
Wege schaffen, daß interessierte und
begabte Schülerinnen und Schüler in
acht statt in neun Jahren das Abitur
machen können.
Sicher fragen manche Eltern, warum
man nicht einfach in den Lehrplänen
oder Stundentafeln Streichungen
vornimmt.
Für solche Vorschläge bin ich sehr
aufgeschlossen, allerdings müssen
mir diese Leute dann sagen, was und
in welchen Fächern ich kürzen soll.
Ich kenne keinen Fachvertreter, der
bisher auch nur angedeutet hat, daß
er Kürzungen hinnehmen würde; im
Gegenteil, es wird eher eine Auswei–
tung gefordert. Außerdem kann man
eine Verkürzung um ein Jahr nicht al–
lein durch eine Reduzierung der Wo–
chenstunden erreichen.
Sind im Bereich der Kollegstufe in
den nächsten Jahren Veränderungen
zu erwarten?
Ich möchte, daß das Abitur als Prädi–
kat für die allgemeine Hochschulrei–
fe wieder ein breiteres Fundament
bekommt. Um einer übertriebenen
Spezialisierung entgegenzuwirken,
strebe ich daher an, daß jeder Ab–
iturient künftig in Deutsch, einer fort–
geführten Fremdsprache und in Ma–
thematik ein schriftliches Abitur able-
gen muß; dazu kommen zwei weitere
Abiturfächer, die der Kollegiat weit–
gehend nach seiner Neigung aus–
wählen darf.
Ab dem Schuljahr 1992/93 wird es
den
Schulversuch
,Europäisches
Gymnasium' geben. Warum haben
Sie diesen neuen Sch_ultyp angeregt?
Veranlaßt hat mich der Gesichts–
punkt Juropatauglichkeit der boye–
rischen Schüler'. Dazu brauchen wir
in erster Linie erweiterte Sprach–
kenntnisse, aber auch eine Vertie–
fung der Naturwissenschaften. So
gesehen ist das Europäische Gymna–
sium, das für den einzelnen Schüler
bis zu vier Fremdsprachen und drei
naturwissenschaftliche Fächer bereits
in der Mittelstufe vorsieht, doch ein
interessantes Angebot.
Was wünscht sich der Kultusminister
für die Zukunft?
Engagierte Lehrer, verständnisvolle El–
tern, fleißige und fröhliche Schüler. 0
SCHULE
aktuell
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