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Diagnose

<:(

HIV-positiv

AUS DEN SCHLAGZEILEN

IST DAS THEMA AIDS VERSCHWUNDEN,

DIE ÄNGSTE SIND GEBLIEBEN.

WIE MAN MIT IHNEN UMGEHEN KANN,

ZEIGT DAS BEISPIEL

DES 12JÄHRIGEN SCHÜLERS MICHAEL,

DER MIT DEM HI·YIRUS

INFIZIERT IST.

W

ie ein Lauffeuer

ging die Nachricht

damals durch unse–

ren Ort: An der Schule gibt

es einen Buben, der mit

AIDS infiziert ist. Die Auf–

regung, die danach ent–

stand, können wir heute ei–

gentlich gar nicht mehr so

recht nachvollziehen, denn

der Umgang mit einem

HIV-positiven Kind ist für

uns inzwischen selbstver–

ständlich geworden- Gott

sei Dank", berichtet Frau

M., Leiterin einer Grund–

schule in einer bayerischen

Kleinstadt.

Begonnen hatte die Ge–

schichte 1986, als der da–

mals 7jährige Michael an

die Schule kam. Das The–

ma AIDS war in jenen Mo–

naten hochaktuell, beinahe

jeden Tag konnte man in

den Zeit!Jngen neue Mel–

dungen über diese gefähr-

20 SCHULE

aktuell

liehe

lmmunschwäche–

krankheit lesen; als beson–

ders gefährdete Gruppe

wurden neben den Homo–

sexuellen unter anderem

die Bluter entdeckt. Und

der kleine Michael war Blu–

ter, also darauf angewie–

sen, regelmäßig gerin–

nungsfördernde Blutpro–

dukte gespritzt zu bekom–

men. Dabei muß es passiert

sein - durch ein Präparat,

das HI-Viren, die zu einer

AIDS-Erkrankung führen

können, enthielt. Heute ist

eine Infektion auf diesem

Wege praktisch ausge–

schlossen, denn seit 1985

unterzieht man alle Blutpro–

dukte einer entsprechenden

Behandlung, so daß die Vi–

ren zerstört werden.

"Als Michaels Eltern mir

mitteilten, daß ihr Sohn in–

fiziert sei, begann für uns

Lehrkräfte zunächst eine

ungeheuer

schwierige

Zeit", erläutert die Rekto–

rin. "Zum einen durften wir

über das Problem nicht of–

fen sprechen- wir unterla–

gen ja der Schweigepflicht

-, zum anderen mußten wir

für die Sicherheit aller Kin–

der sorgen; hinzu kam,

daß der wissenschaftliche

Erkenntnisstand

damals

bei weitem geringer war

als heute und wir Lehrer

natürlich auch nicht über

alle

Einzelheiten

der

Krankheit AIDS Bescheid

wußten."

Rund ein halbes Jahr ge–

lang es, den ,AIDS-Fall' an

der Schule g_eheimzuhal–

ten. An die Offentliehkeif

drang er erst, als sich Mi–

chael im Unterricht eine of–

fene Wunde zuzog und der

Lehrer zum Anlegen des

Wundverbandes Einmal–

handschuhe anzog. Diese

Vorsichtsmaßnahme

rief

bei den Kindern große

Verwunderung hervor, und

noch am selben Tag tauch–

ten Anfragen besorgter

Mütter und Väter auf, denn

daß der kleine Michael an

der Bluterkrankheit litt, war

vielen im Ort bekannt. Als

sich einige Eltern schließ–

lich direkt an Michaels Va–

ter wandten, erhielten sie

von diesem die ehrliche

Antwort: Michael ist HIV–

positiv, das hat der medi–

zinische Test ergeben.

An den Sturm der Entrü–

stung, der danach los–

brach, kann sich die Schul–

leiterin noch gut erinnern:

"Die Eltern warfen uns

Verantwortungslosigkeit

vor, sprachen von einem

51URM DER ENIRÜS1UNG

beispiellosen Vertrauens–

bruch zwischen Schule und

Eltern. Man drohte uns mit

dem Rechtsanwalt und for–

derte schließlich, daß ·Mi–

chael von der Schule müs–

se." Erst als ein Eltern–

abend angesetzt wurde,

bei dem nicht nur das ge–

samte

Lehrerkollegium,

sondern auch der zuständi-

ge Schulrat und der Leiter

des örtlichen Gesundheits–

amtes Rede und Antwort

standen, gelang es, die

Wogen etwas zu glätten.

Bei dieser Klasseneltern–

versammlung ging es zual–

lererst darum, den Eitern

den medizinischen Sach–

verhalt zu erklären, sie

darüber zu informieren,

wie das HI-Virus übertra–

gen wird, wo die Gefahr

der Ansteckung

.~esonders

groß ist und wo Angste un–

begründet sind. Neu war

vielen sicher auch, daß Mi–

chael durchaus ein Recht

darauf hat, an der Schule

zu bleiben. Denn die Stän–

dige Konferenz der Kultus–

minister und -senatoren

der Länder hatte im Okto–

ber 1985 ausdrücklich dar-

KEIN AUSSCHWSS

auf hingewiesen, daß das

Risiko einer Ansteckung in

der Schule bei den übli–

chen sozialen Kontakten

nicht gegeben sei und da–

her keine Veranlassung

bestehe, Schüler, die AIDS–

Erreger im Blut haben, vom

Unterricht auszuschließen.

Zur Entspannung der Situa–

tion trug an diesem Abend

zudem die Feststellung des

Schulrats bei, daß die Leh–

rer sehr wohl korrekt han–

delten, als sie das Problem

nicht den Klasseneitern

mitteilten- allein schon der

Datenschutz

rechtfertige

und erfordere eine solche

Verhaltensweise.

Nach einer langen und

sachlichen Diskussion hat–

te sich die Meinung der

Anwesenden völlig geän–

dert; mit einer einzigen

Ausnahme waren alle El–

tern nun der Ansicht, daß

Michael an der Schule

bleiben solle, ja, daß er so–

gar ein Recht auf besonde–

re Zuwendung durch die

Klasse habe. Allerdings

bat man die Lehrer auch

um erhöhte Aufmerksam–

keit und besondere Vor–

sicht. Welche Stimmung

schließlich

vorherrschte,