Probleme
und
Einer wußte zuviel
Der Fall:
Otto, 17 Jahre
jung und Gymnasiast, hört,
daß über ihn - wie über
jeden seiner Kameraden -
ein sogenannter "Schüler–
bogen " geführt wird. Er ist
beunruhigt. Er wittert da–
hinter Geheimberichte der
Lehrer, die sich auf Zeug–
nisse, vielleicht sogar die
spätere Berufslaufbahn ne–
gativ auswirken könnten .
Auch einen ganz persönli–
chen Grund zur Sorge hat
er: Es ist noch nicht lange
her, da war er spät abends
nach einer Party so blau,
daß ihn die Polizei nach
Hause bringen mußte. Steht
dieses sorgfältig gehütete
Geheimnis jetzt im Schüler–
bogen? Otto ist beunruhigt.
Er traut sich jedoch nicht,
den Klassenlehrer anzuspre–
chen. Sein Freund und Mit–
schüler Max aber, der traut
sich.
Schon am nächsten Tag
klopft er, ausgerüstet mit
einer Vollmacht, die ihm
Otto geschrieben hat, beim
Klaßlehrer auf den Busch.
"Ach, der Schülerbogen!"
lacht der Lehrer, "da ist gar
nichts Besonde res dran . Der
ist nur schulintern. Nie–
mand sonst erfährt, was da
drin steht. Ottos Geschichte
von neulich, und die führt
Sie ja wahrscheinlich her" -
(Max kennt zwar keine "Ge–
schichte von neulich", aber
er nickt eifrig so, als wüßte
er Bescheid.) - "nun ja,
das war schon ein starkes
Stück, das sich unser lieber
Otto da geleistet hat. Im–
merhin mußte ihn die Po–
lizei nach Hause fahren. Er
war auf deutsch sternhagel–
voll. Das habe ich selbst–
verständlich notiert. "
Jetzt möchte Max den
Schülerbogen auch noch le–
sen. Doch hier wehrt der
Klaßlehrer energisch ab.
"Nein, nein, da müßte
Otto schon seine Eltern
oder meinetwegen einen
Rechtsanwalt schicken."
Trotz dieser Abfuhr emp–
findet Max den Vorstoß
heim Klaßlehrer als Teil–
erfolg. Denn das Abenteuer
mit der Polizei hatte Otto
ihm verheimlicht. Mit gro–
ßem Hallo gibt er die Ge–
~chichte
jetzt auf dem
<;chulhof zum besten. Otto
ist wütend. Die Freund–
schaft mit Max bekommt ei–
nen Riß. Und erst recht er–
bost ihn der Lehrer. "Wi e
kommt er
meine Pri-
.
Wer hat recht?
Fälle aus dem Leben
der Schule
aor ocu•nheiten auszu–
? Was geht über–
pt die Schule an, wie
und wo ich Feste feiere? "
Sein Zorn schwillt, wird
bald stärker als die Schüch–
ternheit, und bitter be–
schwert er sich beim Di–
rektor.
Das Recht:
Jede Schule
führt über jeden Schüler
einen Schülerbogen. Das
schreibt
§
24 Abs. 2 der
Allgemeinen Schulordnung
vor. Der Sinn dieser Auf–
zeichnung ist es, Anhalts–
punkte und Tatsachen für
eine persönliche Beratung
des Schülers oder der El–
tern zu gewinnen, z. B.
wenn es um eine Entschei–
.dung über die Schullauf–
bahn oder einen Schul–
wechsel geht. Darum wer–
den hier solche Dinge wie
Legasthenie, besuchte För–
derkurse, Teilnahme an
Sonderunterricht, bevorzug–
te oder abgewählte Fächer,
Empfehlungen
einzelner
Lehrer zur Schullaufbahn
usw. festgehalten. Natürlich
wird auch vermerkt, ob und
wann jemand sitzengeblie–
ben ist.
Alles in allem ist der
Schülerbogen also tatsäch–
lich
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nichts Besonderes".
Unberechtigt war auch Ot–
tos Argwohn, es handle sich
um geheime Aufzeichnun–
gen, die das Zeugnis ver–
derben. Mit Noten und
Zeugnis hat der Schülerbo–
gen nicht das geringste zu
tun. Wäre Otto ein Jahr
älter und somit volljährig
gewesen, hätte er seinen
Schülerbogen auch selbst
einsehen können. Den El–
tern steht dieses Recht oh–
nehin jederzeit zu.
Und wie steht es mit Ot–
tos Sorge, jene feuchtfröhli–
che Eskapade könnte eine
Rolle im Schülerbogen spie–
len? Ein solcher Vermerk
hat im Schülerbogen nichts
zu suchen. Sollte er tatsäch–
lich aufgenommen worden
sein, müßte er sofort ge–
löscht werden. Denn: Das
Verhalten außerhalb der
Schule ist für den Schüler–
bogen grundsätzlich ohne
Sela
- es sei den die
Persönlichkeit eines Schü–
lers könnte anders nicht
richtig beschrieben werden.
Otto aber ist alles andere
als ein Gewohnheitstrinker.
Wenn er sich einmal "da–
nebenbenomm~n"
hat, so
heißt es auch für den Schü–
lerbogen: Schwamm dar–
über.
Aber in einem Punkt hat
Otto recht, wenn er sich
beschwert: Der Klaßlehrer
wäre verpflichtet gewesen,
Max gegenüber zu schwei–
gen. Was im Schülerbogen
steht, ist für den Lehrer
Amtsgeheimnis. Es geht kei–
nen Außenstehenden etwas
an, auch den besten Freund
nicht. Die Vollmacht, die
Max vorzeigte, konnte hier–
an nichts ändern. Sie war
nämlich rechtsunwirksam.
Um eine gültige Vollmacht
zu erteilen, hätte Otto 18
Jahre alt sein müssen.
Bekanntlich war er aber
erst 17.
Der Lehrer reagierte also
richtig, als er sich weigerte,
einen fremden Schülerbo–
gen lesen zu lassen. Leider
hat er nicht ebenso konse–
quent jedwede Äußerung
über den Inhalt von Ottos
Schülerbogen
verweigert.
Auf diese Unterlassung wird
ihn der Schulleiter gehörig
hinweisen . Ebenso wird er
aber Max ins Gewissen re–
den. Dieser hat sich näm–
lich schäbig benommen, als
er auf dem Schulhof zu
tratschen anfing. Zum Erzie–
hungsauftrag der Schule ge–
hört es auch, unter den
Schülern für gegenseitige
menschliche Achtung zu
sorgen. Daran hat Max es
fehlen lassen. Und weil es
schließlich in jeder Schule
Leute wie Max gibt, deren
Ohren immer gerne hören,
was sie besser nicht hören
sollten, sind die Lehrer
schon beim Anlegen eines
Schülerbogens zu äußerster
Behutsamkeit verpflichtet.
Fragen, aus deren Beant–
wortung die Klasse merkt,
daß ein Schüler z. B. unehe–
lich geboren ist oder ge–
schiedene Eltern hat, dürfen
gar nicht erst gestellt wer–
den.
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