Fortsetzung von Seite 19
len, obwohl oberste west-
deutsche
Instanzen
nach
gründlicher
Prüfung
der
Rechtslage und aller Doku–
mente ganz anders entschie–
den haben. im Urteil vom
7. 7. 1975 hat das Bundesver–
fassun gsgericht nämlich klar–
gestellt: " Das Deutsche Reich
hat den Zusammenbruch
1945 überdauert und ist we–
der mit der Kapitulation noch
durch Ausübung fremder
Staatsgewalt in Deutschland
durch die alliierten Okkupa–
tionsmächte noch später un–
tergegangen ." Das Bundesso–
zialgericht hat auf dieser
Rechtslage fußend mit Urteil
vom 30. 9. 1976 in einem
Rentenstreit entschieden, daß
die Gebiete jenseits von Oder
und Neiße kein Ausland im
Sinne des Völkerrechts dar–
stellen . Können " Empfehlun–
gen ", die sich über diese
Rechtsgegebenheiten hinweg–
setzen, tatsächlich für unsere
Schulbücher empfohlen wer–
den?
Höchst bedenklich ist auch
20
die Schulbuchvereinbarung
Nr. 23 . Darin heißt es: " Auf
polnischer Seite kam es (nach
1945) zur Wiederherstellung
des eigenen Staates als eth–
nisch geschlossener National–
staat in neuen Gr-enzen .. .
auf deutscher Seite zu der
faktischen Auflösung des
Deutschen Reiches." Jeder–
mann weiß, daß Polen in sei–
ner langen Geschichte nie–
mals ein reiner Nationalstaat
war. Der Anteil nichtpolni–
scher Nationalitäten bewegte
sich meist um die 30
Proz~nt,
die Volkszählung des Jahres
1931 ergab 68,9 Prozent Po–
IPn. Von der "Wiederherstel–
lung" eines ethnisch geschlos–
senen Nationalstaats nach
dem Zweiten Weltkrieg kann
also nur der schlecht infor–
mierte reden.
Ein
weiterer Einwand:
Wenn die Schulbuchempfeh–
lungen von einer " faktischen
Auflösung" des Deutschen
Reiches nach 1945 sprechen,
müssen Schüler den Eindruck
gewinnen, Völkerrecht ließe
sich einseitig durch sogenann-
te "vollendete Tatsachen",
sprich militärische Gewalt,
herstellen. Das völkerrecht–
liche .Fortleben des Deutschen
Reiches über die Katastrophe
des Jahres 1945 hinaus hat
das oben zitierte Karlsruher
Urteil unmißverständlich zum
Ausdruck gebracht.
Zwei "Staaten"?
Es verwundert nicht, daß
die
Schulbuchkommission
auch die Spaltung Deutsch–
lands einseitig aus östlicher
Sicht darstellt. So liest man
in der Empfehlung Nr. 25 :
" im Jahre 1949 konstituierten
sich
zwei deutsche Staaten
mit unterschiedlicher Gesell–
schaftsordnung . . ."
Diese
Formulierung steht im klaren
Widerspruch zum Völker–
recht, zum innerdeutschen
Verfassungsrecht und zur tat–
sächlichen
geschichtlichen
Entwicklung. Keineswegs ha–
ben "sich" 1949 zwei deut–
sche Staaten gebildet. Allein
die Bundesrepublik kann sa–
gen, durch legitime Akte,
d. h. freie Wahlen in das
Völkerrechtsleben eingetre–
ten zu sein. Von der DDR
wird das niemand ernsthaft
behaupten wollen. An der
Tatsache, daß sie als Satelli–
tenstaat der Sowjetunion ge–
gen den Willen der Bevölke–
rung begründet wurde, führt
kein Weg vorbei . Die Schul–
buchempfehlungenversuchen
hier also, historische Vorgän–
ge von höchst onterschied–
licher Qualität gleichzuset–
zen, nämlich die ·Bildung ei–
nes demokratiscpen Staats–
wesens irri
Wes~en
mit der
aufgezwungenen Einparteien–
Herrschaft im Osten.
Ursache und Wirkung ver–
wechselt die Schulbuchemp–
fehlung Nr. 25, wenn sie über
die deutsch-polnischen Bezi -
hungen sagt : " Das beider
tige Verhältnis wurde .. .
Zu kurzes Gedächtnis
durch den Entschluß zum
Aufbau von Streitkräften in
der Bundesrepublik Deutsch–
land im Rahmen .der west–
europäisch-atlantischen
Si–
cherheitsgemeinschaft (Nato–
Beitritt 8. 5. 1955) zusätzlich
erschwert. " ist unser Ge–
dächtnis so kurz geworden?
Wissen wir nicht mehr, durch
wen das beiderseitige Ver–
hältnis " erschwert" wurde,
warum Westdeutschland die
Bundeswehr aufbaute und in
das Nordatlantik-Bündnis ein–
trat ? Gingen diesen Ereignis–
sen nicht die brutalen kom–
munistischen Machtergreifun–
gen in Polen, der Tschec )
slowäkei, in Ungarn,
Rum~
nien, Bulgarien, Jugoslawien
und die Berlin-Biockade vor–
aus? War es nicht die gewalt–
same Einverleibung ganz Ost–
europas in den sowjetischen
Machtblock, die den Nato–
Beitritt für die Bundesrepu–
blik zum Akt der Selbsterhal–
tung machte?
Es gibt in Bayern kein zu–
gelassenes Schulbuch für
neuere Geschichte, in dem
nicht das von Deutschen an–
deren Völkern zugefügte Un–
recht und die Verbrechen des
Nationalsozialismus
unge–
schminkt und ausführlich dar–
gestellt würden. Wer sich zur
eigenen Schuld bekennt, der
hat das Recht, die geschicht–
liche Wahrheit auch von an–
deren zu fordern . Das Zurich–
ten der Geschichte im Inter–
esse der Tagespolitfk ist kei–
ne solide Grundlage für Völ–
kerverständigung. Aus den
Fehlern der Vergangenheit
lernt nur, wer sie nicht ver–
schweigt oder beschönigt.
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